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Lustiges & Satire 4/6
August 2004
Tagpfauenauge
Im Land der Insekten traf eines Tages ein Bombardierkäfer (brachinus explodens) auf die Raupe eines Tagpfauenauges (inachis io).

Bombardierkäfer sind unscheinbare Käfer mit schwarzem Hinterleib, brauner Brust und langen Fühlern. Keine possierlichen Tierchen. Unangenehm ist, dass Bombardierkäfer einen heißen, giftigen Dampf absondern können, wenn sie sich gereizt fühlen. Dieser Dampf kann bis zu 100 Grad Celsius erreichen und entsteht mit einem Knall im Hinterleib des Insekts.
Zeichnung: Susanne Schulz-Bouchir
Unser Bombardierkäfer war nicht besonders begeistert, ein Bombardierkäfer zu sein. Er wäre im Land der Insekten gern ein Heidebläuling gewesen, ein schöner Falter. Außerdem liebte der Bombardierkäfer Heideköniginnen und teilte ihnen das gerne käferschlüpfrig mit.

Eines Tages traf der Bombardierkäfer eine Reihe anderer Insekten zu einem besonderen Anlass. Eine zirpende Grille war darunter, ein Gottesanbeter, eine Eintagsfliege, eine Plumpschrecke, eine schöne große Libelle.... insgesamt zehn an der Zahl. Die junge Raupe des Tagpfauenauges war auch dabei, das jüngste Insekt im Feld.

Der Bombardierkäfer fand das junge Tier eher unscheinbar, trotz des samtschwarzen Stachelkörpers, aber agil und aktiv. Einfach recht putzig. Von der bevorstehenden Metamorphose wusste er nichts.

Der Bombardierkäfer traf nun regelmäßig auf die zehn Insekten. Bei der Raupe des Tagpfauenauges begann die Verpuppung. Doch die Zeit im Kokon ging sehr rasch und fast unbemerkt vorbei und schon bald war er da, der junge Falter mit noch feuchten Flügeln.

Er zitterte und wartete auf die Wärme, die er brauchte, um seine Flügel trocknen zu lassen und losfliegen zu können. Doch bereits jetzt konnte man die ganze Pracht seiner Vorder- und Hinterflügel sehen.
Die selbstbewusst-verspielte Raupe, die sich mit Energie durchs Leben fraß, angstlos und munter Eindrücke sammelte, war nun ein traumschön-bunter Falter geworden. Dazu da, in Freiheit der Sonne entgegen zu fliegen und Freude zu verbreiten.

Seine Flügelschüppchen schillerten in warmen, kräftigen Farben, und die charakteristische Zeichnung der dunklen Brille auf den Flügeln war unübersehbar.

Jeden Wärmemoment nahm der Falter wahr, um zu fliegen. Er war munter und glücklich, obwohl viele eisige Böen kamen, in dieser Zeit des Frühsommers. Aber er wusste alle gewährten Sonnenstrahlen zu nutzen und erntete großes Interesse. Er war deshalb aber nicht stolz und herablassend. Er hatte ja auch andere Zeiten erlebt. Wer das Glück hat, ein schillernder Schmetterling zu sein, hat alles Recht, ein schillernder Schmetterling zu sein. Das ist seine Aufgabe im Land der Insekten, sein Platz in der Welt. Er sog süßen Nektar ein und flog durch die Weiten. Es gab so viel zu erfahren.

Der Bombardierkäfer sah die Wandlung der unscheinbaren Raupe mit ungläubigem Staunen. Wieder traf es ihn, nicht auch ein Falter zu sein, und er missgönnte dem Tagpfauenauge die Freude des Daseins. Er versuchte dem Tagpfauenauge, das er in Raupenform noch gönnerhaft und freundlich behandelt hatte, den Spaß am Falterdasein zu nehmen. Eine Raupe sollte immer eine Raupe sein, dachte der Käfer. Er hatte sich inzwischen vorgenommen, die Plumpschrecke zu unterstützen, vielleicht auch die zirpende Grille.

Bald trennten sich die Wege des Bombardierkäfers und des Tagpfauenauges.

Das Tagpfauenauge flatterte aktiv in der Welt der Insekten herum, bereitete Freude und wurde geliebt. Er wagte sich in hohe Lüfte und probierte das Leben aus. Keiner übersah ihn. Das schuf viel Neid, auch beim Bombardierkäfer. Nicht alle Insekten lebten ihr Leben und gingen mutig an die Grenzen ihres Raums.

So konnte es sich der Bombardierkäfer nicht verkneifen, einige Male sein Giftgas abzusondern, in Richtung des Tagpfauenauges.

Doch der bunte Falter flatterte davon. Nicht, dass es ihn nicht auch ärgerte. Aber er wusste, seine Heimat war der weite Himmel über der Weltwiese, diesen Bereich würde er sich nie nehmen lassen. Sollte sich der Gestank und die gelbe Wolke des Neides unter ihm auf dem Erdboden doch verbreiten. Er würde fliegen und weiterfliegen und gesehen werden, ein schönes buntes Sonnenfünkchen im warmen Licht. Er war ein Schmetterling. Die da unten würden es lernen müssen. Es würde immer Augen geben, die ein Tagpfauenauge lieben. Was schön ist, ist schön.

Text: Mia
Zeichnung: Susanne Schulz-Bouchir
 
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