Just because you read it in a magazine or see it on the TV screen, don’t make it factual...1, so heisst es in Michael Jacksons Song „Tabloid Press“ von 1995.
Wahre Worte, und noch immer aktuell. Lesen wir doch jeden Tag in den Zeitungen massenhaft Artikel und Stories über Menschen, von denen wir meinen, uns aufgrund dessen ein Bild machen zu können.
Aber können wir das wirklich?
Wir schalten den Fernseher ein, um uns zu informieren. Schließlich wollen wir überall mitreden können, zu allem eine Meinung haben.
Wir lesen, sehen, hören und staunen, stürzen uns wißbegierig auf die suggerierten Werte.
Vielleicht halten wir kurz den Kopf schräg und wundern uns, denken dann aber „Wird schon einen wahren Kern haben, wenn es in der Zeitung steht.“
Und doch haben wir uns an diesem Punkt bereits eine Meinung gebildet.
Eine Meinung, die auf dem gerade aufgenommenen basiert, eine Meinung, die je nach Tenor der Berichterstattung positiv oder negativ ist.
Meist dauert es nicht lange, bis wir mit dem gleichen Thema in einer anderen Zeitung, in einem anderen Bericht konfrontiert werden.
Was wir sehen und was wir hören ist glaubhaft. Und je öfter etwas wiederholt wird, desto glaubhafter wird es. Auch desto wahrer?
Machen wir uns überhaupt noch die Mühe, Dinge zu hinterfragen, hinter die Kulissen zu blicken, zu kritisieren, wenn wir schon von diesen Dingen ein Urteil über andere Menschen abhängig machen?
Seltenst. Meist machen wir uns nicht einmal die Mühe, unser eigenes Empfinden für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu fragen, wenn wir in den Medien etwas als richtig oder falsch, wahr oder unwahr präsentiert bekommen.
Oder wir sehen darüber hinweg. Es gibt ja die Pressefreiheit. Und uns betrifft es ja nicht. Außerdem „schreiben die doch sowieso was sie wollen.“
Und genau das ist der Punkt. Sie schreiben was sie wollen. Und wir, wir glauben, was sie wollen. Und handeln danach.
Speculate to break the one you hate. Circulate the lie you confiscate. Do anything for news, you’d cruzify the Lord2, klagt Michael in seinem Song an.
Am 23. November 2000 veröffentlichte die BILD – Zeitung einen Artikel mit der Schlagzeile „Kleiner Joseph, gegen 50 Neonazis hatte er keine Chance“. Es wurde berichtet, wie Joseph 1997 am hellichten Tag in einem gutbesuchten, Sebnitzer Schwimmbad von 50 Neonazis überfallen, geschlagen, gefoltert und anschließend im Schwimmbecken ertränkt wurde. Viele hätten die Hilferufe des Jungen gehört, aber niemand der 300 Besucher des Schwimmbades habe geholfen. Ein Gutachten ergab später, dass der Junge in Wirklichkeit an Herzversagen starb und der in der BILD geschilderte Hergang ausschließlich auf einer Vermutung der Mutter basierte. Das Hamburger Abendblatt entschuldigte sich daraufhin öffentlich, durch das voreilige und leichtfertige Übernehmen der Berichte über den schrecklichen Mordverdacht, eine ganze Region in Misskredit gebracht zu haben.
Anja Willkommen, die die Rolle der Presse im „Fall Joseph“ untersuchte kam zu der Erkenntnis, dass ein Thema, publiziert von der BILD – Zeitung, innerhalb eines Tages von nahezu allen bundesdeutschen Medien unüberprüft aufgegriffen wurde. Frau Willkommen erklärt die mangelnde gründliche Recherche damit, dass das Thema einen hohen Nachrichtenwert besass und ein hohes Interesse seitens der Leser versprach, zudem es emotional sehr besetzt und aufgrund des mutmaßlichen Verbrechens sensationell war.
Durch diese unüberlegte, sensationsbestrebte Form der medialen Berichterstattung wird es wirklichen Opfern von Neonazis nicht unbedingt leichter gemacht, hundertprozentig ernst genommen zu werden und nicht, ebenfalls leichtfertig, "Übertreibung" unterstellt zu bekommen. Denn der Einfluß der Medien und deren vermittelte Werte auf das Unterbewusstsein der Menschen ist oft größer, als wir für möglich halten.
Ein weiteres Beispiel für die unreflektierte Übernahme von Skandalstories seitens der Medien ist Reinhold Messner, Bergsteiger und Abgeordneter der Grünen im Europaparlament. 1970 verlor er seinen Bruder bei einer gemeinsamen Bergbesteigung. In einem Buch wurde Messner vor nicht allzu langer Zeit unterstellt, seinen Bruder im Stich gelassen zu haben und ihn somit „umgebracht“ zu haben. Die Printmedien übernahmen die Aussage in dieser Formulierung. Bei J.B. Kerner wurden Interviewausschnitte gezeigt, in denen Messner unter Tränen berichtete, dass seine vier Kinder in der Schule gefragt wurden, ob ihr Vater ins Gefängnis müsse, weil er seinen Bruder „umgebracht“ habe. Es kam zu einem Prozess, den Messner gewann. Die Gegendarstellung in den Zeitungen war jedoch winzig und seine Glaubwürdigkeit und sein Ruf, aufgrund der Berichterstattung in den Medien stark beschädigt.
Oder Michael Jackson, der den in diesem Artikel zitierten Song geschrieben hat, um sich gegen die Machenschaften der Presse zu wehren.
Der wohl bekannteste Vorfall der Medienhetze rund um Michael Jackson ist der Vorwurf der Pädophilie.
Nachdem Michael Jackson nach seinen überragenden Erfolgen von 1979 – 1983 zum Weltstar geworden war, war auch der Hype um ihn, für ihn selbst als Menschen, kaum noch erträglich. „Ich weine sehr oft. Ich hatte nie eine Kindheit. Ich hatte nie Freunde. Ich bin oft sehr einsam, spreche sogar schon mit meinen Tieren“, bekannte Michael, der zu dem Zeitpunkt schon mehr und mehr in unschönes Gerede gekommen war: Der Preis des Erfolgs.Nachdem er die Neverland Ranch gekauft hatte, die er in einen Märchenpark und Zoo umfunktionierte, wurden die Gerüchte um seine angeblichen Absonderheiten immer lauter.