Das letzte Mal, als ich innerlich inständig um einen Schutzengel bat, kniete ich auf einer flachen Sandbank, die das bei Ebbe zurückgehende Meer hinterlassen hatte. Wir waren in den Ferien an der französischen Atlantikküste. Die Wellen waren gigantisch an diesem Tag, genau richtig für die mutigen, abenteuerlustigen Halbwüchsigen, um sich mit ihren Surfbrettern begeistert in die Fluten zu stürzen. Die wilden Wellen bäumten sich weiter hinten in schöner Regelmäßigkeit auf. Mittendrin war jetzt mein Sohn Jascha, der, zarter als sein älterer Bruder und ihre Freunde, den Rücksog der Ebbe nicht bewältigt hatte und von der Unterströmung aufs offene Meer gezogen worden war. Ein Jeep der Rettungsmannschaft war im Anrollen, es gab nichts mehr zu tun für mich, außer zu beten.... “Bitte Gott, schick uns Deine Schutzengel“, und dabei stellte ich mir ganz fest zwei Engel vor, die an je einem Arm mein Kind über Wasser halten würden, damit es durchhalten könnte, bis die Rettungsschwimmer ihn erreichen würden... Ich war schon so oft hier gewesen, und wir hatten tragischerweise nicht nur einmal einen tödlichen Ausgang einer solchen Rettungsaktion mit ansehen müssen, auch bei ausgewachsenen, kräftigen Männern, die hier schon ertrunken sind.

Es ist eine alte und schöne, weit verbreitete und beliebte Vorstellung des Menschen, dass es Schutzengel gibt. Auch Daniel sagte nach dem Unfall dankbar: “Ich habe viele Schutzengel gehabt.“
Es geht gar nicht unbedingt darum, ob es tatsächlich Fakt ist, dass es geflügelte und vielleicht unsichtbare Wesenheiten gibt, die hilfreich zwischen Himmel und Erde wirken und womöglich gar ein langes Kleidchen tragen, weiße Flügel besitzen und einen Heiligenschein.
Es geht letztendlich wohl darum, dass seit Menschengedenken das Individuum mit seinem persönlichen Eigenwillen für sich allein nicht lebensfähig ist und sich einem Großen und Ganzen zugehörig fühlen muss und in dem Bewusstsein lebt, nur ein klitzekleiner Teil dieser schönen Welt zu sein.

Fortsetzung