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Kunterbuntes 7/8
August 2004
Buchtipp
Haruki Murakami: Kafka am Strand

„Als mein fünfzehnter Geburtstag gekommen war, ging ich von zu Hause fort, um in einer fernen, fremden Stadt in einem Winkel einer kleinen Bibliothek zu leben. Das klingt vielleicht wie der Beginn eines Märchens. Aber es ist kein Märchen.“
Mit diesen Worten verlässt der Junge Kafka das Haus seines Vaters in eine ungewisse Zukunft, ohne Ziel, nur mit dem einen Wunsch: einer düsteren Prophezeiung seines Vaters zu entkommen, mit der dieser sein Leben überschattet hat. Dabei gesteht sich Kafka selbst nicht ein, dass er in Wirklichkeit dieser Prophezeiung folgt, um seine verlorene Familie zu finden, seine Mutter und seine Adoptivschwester, die ihn in jungen Jahren verlassen haben.
„Auf der ganzen weiten Welt findet sich nirgends ein Ort, der dir Zuflucht bieten kann – obwohl schon das kleinste Eckchen genügen würde. Suchst du die Stimme der Prophezeiung, herrscht nur tiefstes Schweigen. Doch kaum suchst du das Schweigen, dröhnt sie unablässig. Als hätte jemand auf einen geheimen, in Deinem Kopf versteckten Knopf gedrückt.“
Kafka – diesen Namen gibt er sich selbst, um seine Spuren zu verwischen – lässt sich zunächst ziellos treiben und seine Sehnsucht nach Büchern führt ihn an die Küste und in die Komura-Gedächtnisbibliothek, einem altehrwürdigen Gebäude, in der er sich am Ziel seiner Sehnsüchte wähnt. Dort bezieht er sein Domizil und lernt so die geheimnisvolle Frau Saeki kennen, zu der er sich auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt.
Kafka findet mühelos Weggefährten: Den schönen Oshima, der sein bester Freund wird und ihn vor der Polizei verstecken wird. Die Friseuse Sakura, mit der er seinen ersten Sex hat und die er doch insgeheim für seine verlorene Schwester hält. Und Frau Saeki, die ihm als Geist und als reale Person erscheint und die er so gerne zur Mutter hätte.
Die Prophezeiung wirft aber ihren langen Schatten bis in die Komura-Gedächtnisbibliothek. Kafkas Vater wird ermordet und ein wunderlicher alter Mann, der mit Katzen spricht, begibt sich auf eine Mission, die er selbst nicht kennt und deren Bedeutung er bis zum Ende nicht verstehen wird. Erstaunliche Dinge passieren auf der irrlichternden Reise des alten Nakata. Fische und Blutegel regnen vom Himmel und ein Stein öffnet die Pforte zu einer anderen Welt. Auf schicksalhafte Weise vereinigen sich die beiden Handlungsstränge bei Kafka. Der muss sich entscheiden: In einer Geisterwelt zu leben, in der alles so mühelos erscheint und alle seine Sehnsüchte wahr zu werden drohen, oder in das reale Leben zurückzukehren wo Prophezeiungen und Träume keine Rolle mehr spielen, und erwachsen zu werden.
Bei Haruki Murakami ist die Mauer zwischen den beiden Welten durchlässig. Geister und Träume durchbrechen die Grenzen zur Realität, bis diese nicht mehr sichtbar wird. „Kafka am Strand“ ist ein Entwicklungsroman, der vom Erwachsenwerden des jungen Kafka erzählt. Anstatt die Reifung in seinem Inneren nachzuvollziehen, wird sie mit symbolhaften Begebenheiten erzählt. Die Aufhebung der Trennung von Vision und Realität verleihen der Erzählung eine irrlichternde Leichtigkeit, in der alle Arten von Wendungen möglich scheinen. Und sie landet doch wieder sanft auf dem Boden der Realität, wo Prophezeiungen und Geister keine Macht haben.
„,Aber auch das war nur ein Traum.’
,Es ist nichts Schlimmes passiert, oder?’
Nein, es ist nichts Schlimmes passiert, höre ich mich sagen.“
Nicole Neubauer
Haruki Murakami: Kafka am Strand
Dumont Literatur und Kunst Verlag, € 24,90
ISBN 3-8321-7866-X
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Elfchen

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Auf zu neuen Wegen
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Abenteuer
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In Gedanken damit verbunden
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Foto: Ian Britton, freefoto.com
Texte: Sabine Uhrlau · Foto: Ian Britton, freefoto.com
 
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