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Lustiges & Satire 7/8
Dezember 2004
Ein (fast) alltägliches Märchen
Es kam mit der Morgenpost: ein ganz normal aussehendes Paket in braunem Packpapier und verschnürt mit derber Doppelschnur. Es unterschied sich in nichts von den tausend anderen Paketen, wie sie Postboten tagtäglich austragen. Mit diesem aber hatte es eine besondere Bewandtnis - eine ganz besondere...

Toni löste zögernd die Schnur. Dieses Unterfangen gestaltete sich als sehr schwierig, denn das Päckchen war durch mehrere Knoten gesichert. Dass diese Verpackung durchaus ihre Berechtigung hatte, sollte er erst viel später erkennen. Anscheinend gab es Leben in dem Päckchen, irgendetwas rumorte darin. "Srrrrr,srrrrr,srrrr.." Nachdem Toni das braune Packpapier entfernt hatte, steigerte sich das Surren zu einem schier ohrenbetäubenden Brummen"....brrr,brrrroaa, bbrrrroaaaa..."Und schwupp, die Schachtel entwischte seinen zitternden Fingern, fiel mit einem "Plumps" zu Boden und sprang auf. Durch zerknülltes Zeitungspapier hindurch bahnte sich ein ca. 15 cm großes schimpfendes "Etwas" seinen Weg ins Freie und baute sich mit großem Imponiergehabe vor Toni auf.

Toni tastete nach seiner Sehhilfe, die ihm vor Schreck von der Nase gefallen war. Verschwommenen Blicks erkannte er einen kleinen, aber beeindruckend durchtrainierten Mann, dessen kahl geschorener Schädel in Form und Größe einem Benzinkanister zum Verwechseln ähnlich sah. "Hallo, ich bin "Pee!", dein neuer Tanz - und Gesangstrainer" rief das Männchen mit schnarrender Stimme und unverkennbar amerikanischem Akkzent: "And one and two und eins und zwei und Step rechts, Step links, drehe, springen und lächeln..." Toni war so verwirrt, dass er alle Kommandos unverzüglich ausführte. Nur die Kombination aus Drehen und Springen wollte nicht so recht gelingen. "Was soll das, was bildest du dir ein, so wird nie was aus dir, n i e - ist das klar?" Das war der Plastikmann, der ihn da so anherrschte.

Woher wusste er...? Toni hatte sich schon bei vielen Castings beworben, doch nie war man auf ihn aufmerksam geworden. Brille, Pickel, talentfrei - forget it! Der Plastik- Kanisterkopf-Mann war seine Rettung! Und schon wieder herrschte dieser ihn an: "Hallo aufwachen!!! Meinst du , ich habe ewig Zeit, solche Nullen, wie du eine bist, zu trainieren?" "Ja..., nnneeinnn...," stotterte Toni. Doch der Kansiterkopf war schon wieder am Tanzen. Und eins und zwei und drei...Sprung, Drehung und lächeln, l ä c h e l n..." Das Lächeln, das Tonis Gesicht entwich, wirkte gequält, doch den Tanz - und Gesangstrainer schien dies nicht wirklich zu interessieren. "Arme zur Seite und jetzt: I am your hero, you are my hero, ouh, ouh, ah, ah,baby". Toni tat alles wie befohlen. Seine zaghaft vorgetragenen Einwände bedachte der Drill-Instructor mit übelsten Beschimpungen wie "Versager, Looser, Nichtsnutz, Taugenichts" - und Toni ergab sich seinem Schicksal. Es dauerte nicht allzu lange und er beherrschte alles, was "Pee!" von ihm erwartete. Der"Seitengalopp" war seine Spezialität. Schließlich war er sehr motiviert und gab immer sein Bestes, das merkte sogar der Kanisterkopf.
"So , nun zeige ich dir vier Arten von Ausstrahlung: 1.Schwiegermutters Liebling. 2. Der Rebell. 3. Der Romantiker 4. Der Mann, der weiß, was Frauen wollen." Der Kanisterkopf führte alle Gesichtsausdrücke gekonnt vor. Zumindest versuchte er es, denn wie wir alle wissen, verfügen Benzinkanister im allgemeinen über wenig Ausstrahlung. Toni jedoch war tief beeindruckt. Er übte stundenlang: Er strahlte so sehr, dass man ihn sich gezwungener Maßen als Schwiegersohn wünschen musste. Er rebellierte mit zornig zusammen gezogenen Augenbrauen, wobei ihm ein verwegen auf die Wange geschminkter Ölfleck den letzten Schliff gab. Er schmachtete sein eigenes Spiegelbild an, was ihm zugegebenermaßen sehr leicht fiel, denn er fing an, sich selbst am meisten zu lieben. Und mit einem herausfordenden Blitzen in den Augen zeigte er, dass er wusste, was Frauen wollen, auch wenn dies der Realität keineswegs entsprach.

Statt der Brille trug er stahlblaue Kontaktlinsen, welche die Blondierung seiner nach oben gegelten Haare besonders gut zur Geltung brachte. Die Pickel verschwanden unter einer dicken Schicht von Puder und Make-up. "Damit betonieren wir gleichzeitig dein Grinsen ein!" verkündete "Pee!" stolz, während er Toni eine teigige Masse ins Gesicht kleistere."Ja, aber..." versuchte dieser einzuwenden , wurde jedoch mit einem scharf ausgestoßenen "Papperlapapp"seines Trainers zum Schweigen gebracht. "Die "Girls" zwischen 12 und 14 1/2 mögen das - vor allem die mit den Zahnspangen!" Und er warf Toni ein eng anliegendes Muskel-Shirt zu, welches zu den ausgebleichten Jeans sehr chic aussah und Tonis Oberarme besonders vorteilhaft zur Geltung brachte. "And one and two, uh, uh, ah...babyyyyy...". Und Toni trainierte so lange, bis der Kanisterkopf endlich zufrieden war und Dollarscheine in seinen Augen aufleuchteten.

Mit einem Tourenbus eroberten sie die Metropolen Europas. Sämtliche Konzerte waren ausverkauft. Toni, der jetzt "Antony!" hieß, tanze und lächelte und sang und die Mädchen zwischen 12 und 14 1/2 kreischten, wenn er seinen "Seitengalopp" vorführte und lagen ihm zu Füßen. Vor allem die mit den Zahnspangen! In Toni jedoch breitete sich eine große Leere aus. Des Nachts saß er in seinem Hotelzimmer und war traurig. War das der Erfolg, von dem er schon so lange geträumt hatte? Er war kein Mensch mehr, er war eine Marionette, die nach der Pfeife eines Plastik - Kanisterkopfs tanzte. Der Zweifel nagte an seinem Herzen, wie die Ratte am Speck. Als die Ratte den Speck aufgefressen hatte, geschah es: "Was soll das, machst du schlapp? Du weißt genau, ich verplemp...". Weiter kam der Kanisterkopf nicht, denn Toni hatte die Nase gestrichen voll. "Halt dein Maul, halt endlich dein Maul!" herrschte er ihn an. Er überwältigte den sich heftig wehrenden Plastikmann, steckte ihn kopfüber in das Päckchen, verschnürte es mit mehreren Knoten und schickte es ans Fernsehen. Und wenn ihn keiner wieder eingepackt und weggeschickt hat, dann trainiert der Kanisterkopf dort heute noch!
Susanne Schulz-Bouchir
 
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