Ganz normal anders
Fortsetzung von Seite 10
Lieblingslied! Er erzählt ein bisschen schüchtern, dass es ihm
eingefallen ist, als er einen Obdachlosen gesehen hat. Seine Schüchternheit,
sein Tiefstapeln rührt mich richtig und er singt das Lied voller
Leidenschaft und mit viel Herz. Zum Schluss wird er immer trauriger
und leiser: „Ist denn niemand bereit für mich?“ Und in diesem Moment
möchte ich fast weinen. Das passiert, wenn man so verwoben ist.
Viel zu verwoben, denke ich manchmal. Auf alle Fälle ist in diesem
Moment das vertraute Daniel-Feeling da: Mein Herz geht auf und wird
groß wie ein Luftballon, alle Menschen in diesem Saal passen hinein!
Jetzt stört mich der Rucksack schräg vor mir kaum noch, der sich
immer wieder hart in meine Seite bohrt. Mein Mann allerdings hat
schon aufgegeben und steht weiter hinten. „Seltsam verbissen manche
Leute hier“, wird er mir später erzählen. Als ich jetzt zu ihm gucke,
breitet er grinsend die Arme aus. Genau, wir düsen inzwischen mit
den Aliens durchs Weltall. Ich sehe Anderle, die ganz verklärt aussieht
und die Hand auf dem Herzen hat. Ich tausche einen Blick mit Bea
und weiter vorn wippt das rote Kopftuch von Ghani, Lady schmeißt
ihre Haare und Bettina nimmt grad Stefans Hand. Hinten auf dem Podest
sehe ich kurz Judits strahlendes Gesicht. Ich freue mich so über
unsere Gemeinschaft. Hinterher, weiß ich, werden wir über alles
reden. Uns austauschen, unsere Gefühle und Empfindungen teilen.
Und es wird, wie immer, ganz unterschiedlich sein, was jede erlebt hat.
Manchmal packt einen ein Konzert mehr und manchmal weniger.
So wie man selbst eben gerade drauf ist. Heute gefällt es mir sehr,
wie Daniel mit seiner Stimme spielt.Dieses Kiecksen bei „…so weit
weg…“ finde ich süß, dieses stöhnende Langziehen „…von zu Haaauuuss….“
passt gut dazu. Der Einspieler „Supernova“ irritiert mich dann etwas,
zieht die Stimmung ein bisschen runter. Prüfend äuge ich zu den
Journalisten oben auf der Empore. Wie werden die das finden? Was
wird morgen in den Zeitungen stehen? Aber ich will mir keine Sorgen
machen… Herrlich rotzig und frech kommt dann auch gleich „König
von Deutschland“ und alles fließt weiter. Sie ist wieder da diese
besondere Energie! Ziemlich schade, dass dann schon bald Pause ist. Wieder
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ein Bruch. Aber gut, ich möchte auch gern wissen, wie meinem
Mann das Konzert gefällt. Er hat uns Bier geholt und lästert ein
bisschen über den Hall, der bei jedem Lied irgendwie dazu gemischt
wird: „Seeehr experimentell“, witzelt mein Liebster. „Oder sind
das die göttlichen Vibrationen?“ Auch das Stimme hochziehen und
Kiecksen ist ihm zuviel: „Warum muss er das denn bei jedem Lied
machen?“ Und sehr lustig findet er ein paar Fans: „Ob die mich massakrieren,
wenn ich nachher ein bisschen weiter vor will? Ich glaub, ich versuch
mal in die erste Reihe zu kommen.“
Und das versucht er wirklich. Ich bin durch sein Bemühen etwas abgelenkt
vom Konzert. Er schafft es nur drei, vier Reihen weiter nach vorn,
dann stehen die Fans wie eine dichte Mauer. Auch das ist ungewöhnlich.
Bei anderen Konzerten gelingt es immer, wenigstens seitlich, bis nach
vorn zu kommen. Ich muss jetzt lachen über meinen Mann,
der ganz eingeklemmt da steht. Aber er starrt auf die Bühne. Dort
veranstaltet Daniel ein faszinierendes Spiel zu „Neue Menschen“.
Ganz präsent, ganz konzentriert steht er da und fragt: „Werden sie
irgendwann so sein wie ich und du? Wie du und ich? Wie du“, er zeigt
auf jemanden im Publikum und bleibt für eine Weile mit einem ganz
tiefen Blick „…und ich?“ Das wiederholt er immer. Dreht sich von
einem zum anderen. Immer wieder. Immer intensiver. Ich bekomme eine
dicke Gänsehaut. Woouuw… das ist hypnotisch! Geil und überraschend.
Das liebe ich an seinen Konzerten. Dann kommt „Flugzeuge im Bauch“
und ich muss so an Eggenfelden denken, wo mich dieses Lied, nur
ein paar Töne von diesem Lied… beim Soundcheck völlig aus der Bahn
geworfen haben. Jetzt ist es anders. Schön, klar, aber irgendwie
viel normaler. Vielleicht einfach vertraut inzwischen.
Mein Mann wühlt sich grad wieder zu mir zurück. Bei „Warum“ blödeln wir ein
bisschen, singen ganz laut mit, werden immer alberner. Daniel singt
gerade dieses Lied sehr bewegend, ganz emotional, aber ich kann
nicht so recht darauf einsteigen, sondern mag jetzt mal richtig
albern sein. Das hab ich oft in Konzerten, wenn´s mir zu ernst wird
und zu getragen. Bei einem Daniel-Konzert ist das allerdings ein
völlig neues Gefühl für mich. Sollte es tatsächlich normal werden?
Aber okay, irgendwann muss das wohl sein.
Gegen Ende dann die Befragung in der ersten Reihe, kurz danach sein stage diving.
Ich glaubs nicht, aber beim dritten Anlauf springt er wirklich!
Über diese Entfernung! Ich finde das sehr mutig. Und passend wäre
jetzt ein langsames „Auf Händen getragen werden“ durch die Halle.
Doch er taucht gleich ab und ziemlich schnell wieder auf der Bühne
auf. „Ich werde dich finden“ zum Schluss ist wie ein Schwur. Voller
Inbrunst. Und ich verbrenne mir ein paar Mal fast die Finger am
Feuerzeug. Dann lass ich es und schwelge einfach in dem Lichtermeer
um mich herum. Zauberhaft sieht das aus! All diese Lichter, diese
kleinen Fackeln.
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