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Gesellschaft & Medien 6/10
Februar 2006
Wer hört schon auf den Hahn?
Ein Kritiker ist jemand, der gackert, wenn andere ein Ei legen.“ – Wer diesen Spruch kreiert hat, hatte wohl keine allzu gute Meinung von der Kritikerzunft. Doch seien wir mal ehrlich: Ohne die aufopferungsvolle Tätigkeit etwa der Literaturkritiker wären so herausragende Autoren wie Wislawa Szymborska, Kenzaburo Oe, Derek Walcott oder José Saramago nie ausreichend gewürdigt worden.
Wie jetzt? Ihr kennt diese Autoren gar nicht? Habt nichts von ihnen gelesen??? Asche auf euer Haupt! Handelt es sich bei den Genannten doch um Literatur-Nobelpreisträger!
Dumm nur, dass ihre Werke zwar die Kritikerzunft jubeln lassen, dem Rest der Bevölkerung aber ziemlich schnurzegal sind. Der ergötzt sich lieber an Tolkiens "Herr der Ringe" oder Joanne K. Rowlings „Harry Potter“, dessen neueste Abenteuergeschichten mit der deutschen und der englischen Ausgabe mal wieder die beiden ersten Plätze der Bestsellerliste belegen.
Doch nicht nur in der Literatur klafft eine weite Kluft zwischen dem, was die Wächter der wahren Kunst für gut und richtig erachten – auch in allen möglichen anderen Bereichen verhallt ihr verzweifelter Ruf, endlich Gehör für ihre Meinung zu finden.
Hochgelobte „Kunstfilme“ verschwinden mangels Zuschauerinteresse meist nach kurzer Zeit aus den Kinos, um dann irgendwann im Nachtprogramm der TV-Sender die wenigen Zuschauer in den Schlaf zu wiegen. Oder sie erscheinen nur auf DVD und liegen wie Blei in den Regalen der Videotheken. Während Arnold Schwarzeneggers „Terminator“ genauso die Massen anzieht wie Bully Herbigs „Der Schuh des Manitu“.
Wie sehr die Meinung darüber, was beachtenswerte Kunst oder einfach nur Trash ist, zwischen Kunstkritikern und „Normalsterblichen“ auseinandergeht, dafür bietet eine kleine Episode, die im Jahr 2005 für Schlagzeilen sorgte, ein gutes Beispiel. Damals hatte Peter Postleb, Leiter der Stabstelle „Sauberes Frankfurt“, kurzerhand mehrere große, gelbe Plastikteile aus einer Grünanlage als Müll entsorgen lassen – und sah sich anschließend dem Spott der Medien ausgesetzt, weil es sich bei den Plastikteilen um eine Skulptur von Michael Beutler handelte. Aber Postleb steht nicht alleine – in einer Londoner Galerie hatte ein Reinigungsmitarbeiter einen vermeintlichen Haufen Müll weggekehrt, bei dem es sich jedoch um eine Installation von Englands berühmtesten Künstler Damien Hirst handelte. Auch eine Plastiktüte, gefüllt mit Zeitungen und Pappe, die unter einem Gemälde auf dem Boden lag, fiel der Gründlichkeit einer Londoner Putzfrau zum Opfer. Es handelte sich um ein Werk des „Dekonstruktions-Künstlers“ Gustav Metzger.
Bereits 1988 sorgte ein ähnlicher Vorfall für Schlagzeilen. Damals entfernte eine Reinigungskraft die von Professor Joseph Beuys gestaltete „Fettecke“ in der Düsseldorfer
Wer hört schon auf den Hahn / Zeichnung: Susanne Schulz-Bouchir
Kunstakademie. Das Land Nordrhein-Westfalen musste 400.000 DM Schadensersatz an den Künstler zahlen.
Ist es angesichts solcher „Missverständnisse“ verwunderlich, dass auch im Bereich Musik die Meinungen zwischen dem, was Musikkritikern gefällt und dem, was „angesagt“ ist, weit auseinander klaffen? Das gilt insbesondere für den Bereich der sog. U-Musik, also für Rock, Pop & Co.
Während Kunstkritiker gerne auf den Satz „Kunst kommt von Können“ hinweisen, ist die Ansicht des weitaus größten Teils der Bevölkerung eher, dass „Kunst ist, was gefällt“. Dabei schließt das Eine das Andere durchaus nicht aus. Im Gegenteil - auch im Bereich der modernen Unterhaltungsmusik wird sich langfristig nur durchsetzen können, wer über Talent und Disziplin verfügt. Über den Willen, beständig an sich zu arbeiten und sich weiter zu entwickeln. Doch darüber hinaus ist Musik – wie jede andere Kunstform auch – vor allem eins: Geschmacksache! Und da Geschmäcker bekanntlich verschieden sind, stellt sich letztlich die Frage, wie maßgeblich eigentlich die Meinung von Kritikern ist. Kann sie tatsächlich ein Gradmesser dafür sein, ob ein Künstler gefällt oder nicht?
Als die Beatles und Rolling Stones ihren Siegeszug um die Welt antraten, hagelte es seitens der Musikkritiker Verrisse. Von "unerträglichem Lärm" war die Rede, welcher angeblich die Jugend verderben würde. Heute zählen die Beatles zu den größten Musikern des 20. Jahrhunderts und wurden sogar von der Queen geadelt. Die Rolling Stones füllen auch nach vierzig Jahren noch die Stadien, während sich an die Namen der damaligen Kritiker niemand mehr erinnert. Auch Robbie Williams, Madonna oder Nina Hagen wurde der baldige Untergang bescheinigt - und sie sind nur Vertreter einer langen Liste von Musikern, welchen den Unkenrufen der Kritiker zum Trotz eine langjährige Karriere beschieden war.
Dass auch Rezensenten nicht immer einer Meinung sind und ihre Einschätzung dessen, was gut oder nicht gut ist, oftmals sehr unterschiedlich ist und somit letztlich auch nur vom persönlichen Geschmack bestimmt wird, zeigt die Reaktion auf Daniels "Ich hass mich"-Konzert am 27.12.05
Letzte Änderung: 14.06.2012 
Online-Magazin Im Endeffekt Ausgabe 9 · © 2003 - 2006 danielwelt.de · Impressum · Printausgabe