As time goes by
Fortsetzung von Seite 12
Einst von Daniels Freundin Gracia bei der BigBand- Mottoshow gesungen, am Ende kindlich überwältigt
vom Trennungsschmerz, als sie gehen musste, tönt Daniel dieses Lied
inzwischen souverän, kraftvoll, erwachsen und mit sehr männlicher
Ausstrahlung in die Stuttgarter Liederhalle. Ich seh ihn noch damals
verzweifelt kindlich weinen, ein bisschen wie ein unsicherer Konfirmant.
Jetzt hat er eine völlig andere Ausstrahlung: sicher, großartig,
aus dem Vollen schöpfend oder vielleicht auch Unsicherheiten inzwischen
geübt überspielend. Ich kann mich zurücklehnen und bin nicht mehr
angespannt, dass er irgendwie "daneben" haut und sich möglicherweise
in ein Fettnäpfchen setzt. Ja, die Zeit vergeht und das Leben ist
stete Wandlung. Daniel bedankt sich bei seinen Fans, dass sie in
"dieser schwierigen" Zeit zwischen all den Weihnachtseinkäufen Zeit
gefunden haben, hierher zu kommen und gibt zu, auch selbst im Stress zu sein.
Nach einem wunderschönen "All of me" plaudert er weiter
über Weihnachten und empfindet teilweise "Trauerstimmung", wenn
seine Haushälterin ihn fragt, ob er dies hat, ob er das hat.
Daniel imitiert seine Haushälterin mit schriller Stimme und sehnt sich
nach Urlaub von all dem, nach einer guten Zeit … einer Good time.
Er katapultiert mich mit dem Song wieder in die Danielgeschichte
zurück.
Ich denke an damals, als er das Lied zum ersten Mal in Mühldorf
gesungen hat und was haben wir seine Lieder damals euphorisch gefeiert,
"Hey" noch dazu und "Born in bavaria". Ich liebe "Good time". Let's
be happy and wild and free … zu gerne hätte ich das Lied als Single-Auskopplung
gesehen. Jetzt sitzt Daniel auf seiner Bühne, auf dem Hocker, schaut
aufs Notenblatt vor sich, seine Stimme ist wunderbar kraftvoll,
tief und volltönend. Happy and wild and free … und die Zeit vergeht.
Diesmal schwenkt er keine Arme, hopst nicht happy, wild and free
euphorisch über die Bühne. Bei den Jazz-Liedern wirkt das auf mich
angemessen, ernsthaft und stilvoll. Bei dem geliebten Küblböck-Klassiker
vermisse ich aber die alte ansteckende Wildheit etwas. Ich vermisse
auch meine engen Faniel-Freundinnen. Keine der alten Clique ist
heute dabei. As time goes by ...
Nach euphorischem Applaus kündigt Daniel sanfter werdend, selbst berührt, einen
Song an, "da gehts um Liebe, um Sehnsucht, um Vertrauen". Wie
er "Vertrauen" sagt, das rührt die alten Wogen in mir. Ich spüre
seine Tiefe, seine Verletzlichkeit. Ich habe keine Ahnung, was
passiert sein mag, wem dieses Lied gewidmet ist, aber ich spüre
Schmerz. Der Schmerz, vertraut zu haben und enttäuscht worden
zu sein, schmeckt so bitter. Ich kenne diesen Schmerz aus Fassungslosigkeit,
Empörung, Wut, Verletztheit, Bedürftigkeit und Sehnen ….Aua.
Grad will sich eine Träne des Mitfühlens lösen, da hör ich Daniel sagen:
"Gell, gut seh ich aus?!", er schäkert, er lacht und tut ganz
eingebildet, fährt sich durchs Haar und erzählt weiter von einer
Oma, die zu ihm kürzlich sagte,
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dass sie ihn nie gut aussehend empfunden hat früher mit den langen Haaren und der Brille. Aber
jetzt … nun ja…doch … jetzt wäre er was für ihre Enkelin. Und doch
heilt letztendlich das Lob über das vorteilhaft veränderte Äußere
den alten Kummer nicht, denn "Warum" singt er so verbunden mit
der alten Wunde, so aus dem Schmerz schöpfend, dass ich eine Gänsehaut
bekomme. Er hält sich am Flügel fest, er senkt dramatisch den
Kopf, jeder Ton, den er singt, und auch sein Gesicht drückt den
Schmerz aus. Hast gehört, was andere sagen? Tut es Dir jetzt
leid? Aua. Tut es Dir jetzt leid? hallt in der Liederhalle,
hallt in meinem Kopf, Herz, Körper. Was tut mir leid? Was bedaure
ich? Wieder einmal wirft er mich auf mich selbst zurück, nur durch
seine Eindringlichkeit beim Singen. Beim durrrch rollt er das
rrrrr so unverkennbar bayrisch. Ich muss schmunzeln. Ich liebe
diesen Rest unperfektes Hochdeutsch und hoffe, er wird sich das nie abgewöhnen.
Bei "I´ve got you under my skin" setzt er sich
wieder auf seinen Hocker, vor den Text, singt konzentriert und
ich verarbeite die tiefen Gefühle von "Warum". Dieses letzte Konzert,
so sagt er anschließend, soll etwas besonderes sein. Und das nun
folgende Lied haben sich die Fans oft am meisten gewünscht: "Unchained melody".
Ach ja … was für Erinnerungen fliegen wieder mit den
Tönen durch den Raum, Bilder über Bilder, beginnend beim Dackelblick
der Mottoshow-Lovesongs über das Wildpferd in Hannover, was I
neeeeeed your love in einer Inbrunst sang, dass mir war, als ob
der Boden zu schwanken beginnt bis zu dem heutigen Bild des coolen
Frank Sinatra da vorne in schwarz.
Ich schaue hinunter und sehe
erst nur zwei kleine Lichter brennen, so wie der junge Daniel
damals mir vorkam, ein kleines, aber unheimlich helles Licht im
trüben Casting-Einerlei. Nach und nach werden da unten immer mehr
Lichter angezündet. Schön sieht das aus. Warm wird mir ums Herz.
Standing ovations gibt es, als Daniel geendet hat. Das Lied ist
heute noch genauso wundervoll wie damals, auch wenn die Zeit vergeht.
"As time goes by" singt er nun und meine Zeitreise hält an. Ich sehe mich in
München den Koffer durch das Schneechaos ziehen, sehe mich in Hannover
mit Daniel im Arm Ahmimbowehhhh singen, ich sehe mich mit meinen
Lieben Bäume umarmen und Steinkreise legen, sehe uns mit Nikolausmützen,
zusammen weinen und lachen……und Daniel singt vom fight for love
and glory … ja, dieser Kampf, lieber Daniel, den kämpfst Du tatsächlich
schon lange und wir können nur ahnen, wie das wirklich ist. It´s
the same old story, the fight for love and glory. Die Bläser stehen
so ernst und feierlich an seiner linken Seite, aufrecht, gerade.
Ich spüre diesen Kampf, diese Anstrengung, das menschliche Sehnen
nach Anerkennung und Liebe und wieder einmal fliegt ihm ohne zu
zögern mein Herz zu.
Fortsetzung
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