Gibt es ein Leben nach der Casting-Show?
Deutschland hat seine Superstars gefunden - und fragt sich jetzt, was es mit ihnen soll. Ein Stimmungsbild.
Kein Zweifel: Nach außen hin scheint die Phonoindustrie der große Gewinner des Casting-Wahns zu sein. Zusammen mit der zeitgleich angelaufenen Vermarktungswelle der Soap-Sternchen halten die Casting-Stars stets um die 50 % der Top Ten. Die typische Casting-Klientel - vorwiegend Käufer im Kindesalter und über 30 - sind die Wunschkunden, die lieber kaufen als brennen, nicht zuletzt aufgrund einer häufig festen Fanbindung. Fertigmachen zum Jubeln, möchte man den Chefetagen zurufen - doch die zeigt nur verhaltene Begeisterung.
Schaut man sich die tatsächlichen Chartsverläufe der Casting-Produkte an, so verlaufen diese trotz des Medienhypes meist nach Sternschnuppenmanier, zwei Wochen in den Singlecharts und dann im freien Fall. Die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums für ihre Lieblinge ist kurz, nicht zuletzt aufgrund der schieren Masse von Interpreten, die den Markt überschwemmen.
Hinzu kommt, dass das Casting-Geschäft eine fast selbstmörderische betriebswirtschaftliche Strategie verinnerlicht: Man baut ein Produkt auf, verfeinert es, schafft sich eine feste Käuferschicht, nur um es kurze Zeit später fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel, im Comedy-Restefeuer zu verbrennen, und ein neues Produkt aus dem Nichts zu kreieren. Man muss nicht viel Unternehmergeist besitzen, um zu sehen, dass sich dieses kurzfristige Denken nicht lohnen kann. Dabei verfügen die Labels mit den Casting-Stars über durchwegs talentierte Rohdiamanten, die sie mit einem kleinen aber treuen Käuferkreis im Mittelfeld des Marktes niveauvoll aufbauen könnten. Anstatt dessen werden die jungen Leute mit Billigstproduktionen verramscht und ausgebrannt. Die neuen "Popstars" fanden ihre CDs so schon vor Ende der Sendung für 1,99 € an der Theke von McDonalds wieder.
Da kommt der böse Verdacht auf, dass das Interesse der Plattenindustrie an den Casting-Stars nie wirklich groß war. Die Urmutter der Casting-Shows, "Popstars", zeigte das deutlich: Außer den Siegern landeten die Anwärter auf dem Müll der Musikgeschichte. Der Profit floss vielmehr aus den durch Einschaltquoten getriggerten Werbeeinnahmen. "Deutschland sucht den Superstar" zeigte sich schon geschäftstüchtiger und initiierte das Telefonvoting und damit eine Maschine zum Gelddrucken. Allein angesichts der Voting-Millionen, an denen die Vertragspartner BMG beteiligt waren, wirken die Plattenerfolge der Zöglinge wie Peanuts. Die langfristigen Verkaufszahlen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein für die gebeutelte Musikindustrie. Nimmt es da Wunder, dass die Investitionen der Plattenfirma in ihre Schützlinge auf Niedrigstniveau laufen? So sitzen die Castingstars in der Trash-Nische fest, und sind auf sich allein gestellt, da herauszukommen.
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Der Ruf der Casting-Stars bei Publikum wie auch ihren musikalischen Kollegen könnte wirklich besser sein. Hört man ein bisschen in die Musiklandschaft hinein, so könnte man den Eindruck bekommen, die Casting-Horden fallen darin ein wie der Marder in den Hühnerstall. So ätzten Fury in the Slaughterhouse in einem Interview mit dem Jugendmagazin "Yaez" über "musikalische Umweltverschmutzung"; der Manager der Band Wir Sind Helden, Christof Ellinghaus, nannte die Nominierung von Casting-Künstlern für den ECHO ein "Trauerspiel" und wollte gar den Auftritt absagen; der Produzent Mousse T. mokiert sich beim Handelsblatt über das "Boulevard-Fieber", und verschweigt dabei geflissentlich, dass er auch schon für eine TV-Casting-Show in der Jury saß. Mola Adebisi erklärte gegenüber MTV, er bewundere Bands, die sich alles selbst erarbeitet hätten - im Gegensatz zu den Casting-Stars.
Natürlich leben diese Stars wie die Lilien auf dem Felde, sie komponieren nicht, sie texten nicht und die Produzenten schreiben ihnen doch Songs auf den Leib, für die sie 1:1 funktionieren müssen - ohne einen Funken der Möglichkeit eigener musikalischer Kreativität. Flo von den Sportfreunden Stiller äußerte in einem Interview, die Casting-Künstler seien keine Musiker, sondern allenfalls Interpreten, und brachte damit die Angelegenheit auf den Punkt. Doch der Sturm der Entrüstung kommt etwas zur falschen Zeit, denn diese Art von Interpreten existieren schon so lange, seit es Pop gibt: Talentierte Sänger und Tänzer, die kommerzielle Fremdproduktionen von Fließbandproduzenten präsentieren und dafür auch meistens die großen Chartserfolge abräumen, denn der Kunde mag das, was billig, süß und schnell ist. Wer kauft schon den Bio-Apfel, wenn der Nestlé-Schokoriegel im Regal lacht? Wirft man dies aber den Sängern selbst vor, dann beschuldigt man das schwächste Glied in der Kette, das zufällig im Rampenlicht steht, denn schuld an der Monokultur der Musiklandschaft sind sicherlich zuletzt die unbedarften jungen Sänger, sondern eine zunehmende Konzentration der Plattenkonzerne und die von ihnen geförderte Marktmacht nur weniger Produzenten. Im Gegensatz zu den Managern und Produzenten stehen sie aber im Blickpunkt der Aufmerksamkeit und werden so zur Zielscheibe von Frust, Verachtung und Zorn. Klarsichtig erkannte dies Tommi Eckhart von 2Raumwohnung: "Bei einem wie Daniel Küblböck, der ja recht lustig ist, lehnen viel weniger die Person ab, als die Maschinerie, die dahinter steht".
Die Personen, um die es hier geht, werden sich selbst in dieser Maschinerie neu positionieren müssen. Sie sind Opfer eines bösen Spiels geworden, in dem man ihnen die große Karriere versprochen hat, die sich als billiges Imitat entpuppte. Peter von den Sportfreunden Stiller fasste das Dilemma in einem MTV-Interview zusammen: "In den Casting-Shows wird mit den Träumen junger Leute gespielt, es wird ihnen eingeredet, sie wären hinterher Musiker". In das gleiche Horn blasen die Musiker der Band BAP: "Mich beunruhigt mehr, wie die Medien mit Träumen umgehen.
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