zurück zur Startseite
Gesellschaft & Medien 4/6
Juli 2005
Klingelst du noch, oder blökst du schon?
Wie die meisten jenseits der 20 gehöre ich eher noch zu der Generation, für die ein Handy ein praktischer Gebrauchsgegendstand ist, den man zum Telefonieren benutzt und der ein einfaches Klingeln genügt, um darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass jemand sie zu erreichen versucht. Deshalb fällt es schwer, den Kult um den neusten Trend nachzuvollziehen, der nicht nur zunehmend nervig, sondern zu allem Überfluss auch noch teuer ist. Die Rede ist von Klingelton-Downloads.
Mittlerweile fühlt man sich ja schon fast verfolgt von allen möglichen und unmöglichen Klingeltönen auf den Handys. An allen Ecken und Enden quietscht, grölt und kreischt es ohne Ende.
Musiksender kann man fast nicht mehr einschalten, weil man das Gefühl hat, dass bei all den Werbeschaltungen für Klingeltöne kaum noch Zeit für Musik oder Videos bleibt. Geradezu bombardiert werden die Jugendlichen und Junggebliebenen mit „günstigen Abbos“ für nur € 4,99 oder € 5,99 /Monat. Dafür bekommt man dann den „besoffenen Elch“, den „verrückten Frosch“ oder das „tanzende Nilpferd“, die in computermäßig steriler Form ihre Darbietungen zum Besten geben.
Es wird tatsächlich schon über Klingelton-Charts diskutiert. Vielleicht sollten Künstler in Zukunft mit jedem neuen Song auch einen entsprechenden Klingelton auf den Markt bringen und sich nicht mehr um einen Plattenvertrag sondern um einen Exklusivvertrag bei Jamba bewerben, denn das Unternehmen erzielt Millionenprofite mit den nervigen Billigkunstwerken.
Spätestens, wenn „Sweety“ zum X-ten Mal seinen quietschigen Song in der Werbung von Jamba über den Äther trällert, kann man sich einer gewissen Mordlust an der flauschig gelben Computerkreation nicht mehr erwehren.
Für den einen eher befremdlich, von seinem Handy angebellt, angeblökt oder noch besser, angefurzt zu werden, gibt es gerade unter den Jugendlichen immer mehr, die mit wachsender Begeisterung die Klingeltöne nebst mehr oder weniger gelungenen Animationen herunterladen. Gemeinsam sitzt man dann in geselliger Runde und spielt sich gegenseitig die neuesten Errungenschaften vor. Es soll wirklich Spaß machen, sich die teilweise grottig schlechten Animationen, die in ihrer Qualität an die Anfänge der Playstation oder des Gameboys erinnern, anzusehen und sich dabei die Ohren von Tönen volljaulen zu lassen, die im günstigsten Fall noch an das Blasen auf einem Kamm oder das Kratzen auf dem Waschbrett erinnern. Die Tiefen dieses Genusses konnten sich mir bisher noch nicht erschließen.
Im Gegenteil dazu kann man allerdings die Reaktion der Eltern sehr gut nachempfinden, die anschließend die horrende Telefonrechnung in Händen halten. Der Schmerzensschrei ist dann wahrscheinlich so authentisch, dass er bestens als Klingelton-Download ge-
Colllage: Barbara Bumm, basierend auf Fotos von sideshowmom und dave
eignet wäre. Da liegt es doch nahe, als neuesten Verkaufsschlager die Download-Klingeltöne gleich als Paket mit der Schuldnerberatung anzubieten. Führt man sich mal vor Augen, mit welchen Summen sich Jugendliche durch Handyrechnungen bereits ver-schulden bzw. verschuldet haben, sicher nicht die schlechteste Idee für die Nutzung einer neuen Marktlücke. Alles aus einer Hand, wir verursachen ihre Schulden und wir verwalten sie! Wohl den Eltern, deren Sprösslinge nicht von diesem Virus infiziert sind und deren Telefonrechnung sich deshalb noch in erschwinglicher Höhe bewegt.
Einen gewissen humoristischen Aspekt an der ganzen Sache kann man jedoch nicht von der Hand weisen. Speziell, wenn der junge Mann, dessen Handy mitten im Supermarkt eindeutig orgastische Töne von sich gibt, das gute Stück nicht schnell genug aus der Hosentasche befördern und zum Schweigen bringen kann, bevor er mit hochrotem Kopf zwischen grinsenden Miteinkäufern steht.
Hier wird sicher dringend ein neuer Klingelton-Download fällig. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Modeerscheinung sich genauso schnell totläuft wie Tamagotchis und piepende Schlüsselanhänger.
Bei mir klingelt übrigens gerade das Handy, kaum zu glauben, aber wahr, es klingelt einfach nur wie ein ganz normales Telefon. Diese Rückständigkeit gönne ich mir und meiner Geldbörse einfach.
Jutta Reuß
Colllage: Barbara Bumm, basierend auf Fotos von sideshowmom und dave, www.morguefile.com
 
Online-Magazin Im Endeffekt Ausgabe 7 · © 2003 - 2005 danielwelt.de · Email info@im-endeffekt.net · Impressum