Klingelst du noch, oder blökst du schon?
Wie die meisten jenseits der 20 gehöre ich eher noch zu der Generation,
für die ein Handy ein praktischer Gebrauchsgegendstand ist, den man
zum Telefonieren benutzt und der ein einfaches Klingeln genügt, um
darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass jemand sie zu erreichen
versucht. Deshalb fällt es schwer, den Kult um den neusten Trend nachzuvollziehen,
der nicht nur zunehmend nervig, sondern zu allem Überfluss auch noch
teuer ist. Die Rede ist von Klingelton-Downloads.
Mittlerweile fühlt man sich ja schon fast verfolgt von allen
möglichen und unmöglichen Klingeltönen auf den Handys. An allen
Ecken und Enden quietscht, grölt und kreischt es ohne Ende.
Musiksender kann man fast nicht mehr einschalten, weil man das
Gefühl hat, dass bei all den Werbeschaltungen für Klingeltöne
kaum noch Zeit für Musik oder Videos bleibt. Geradezu bombardiert
werden die Jugendlichen und Junggebliebenen mit „günstigen Abbos“
für nur € 4,99 oder € 5,99 /Monat. Dafür bekommt man dann den
„besoffenen Elch“, den „verrückten Frosch“ oder das „tanzende
Nilpferd“, die in computermäßig steriler Form ihre Darbietungen
zum Besten geben.
Es wird tatsächlich schon über Klingelton-Charts
diskutiert. Vielleicht sollten Künstler in Zukunft mit jedem neuen
Song auch einen entsprechenden Klingelton auf den Markt bringen
und sich nicht mehr um einen Plattenvertrag sondern um einen Exklusivvertrag
bei Jamba bewerben, denn das Unternehmen erzielt Millionenprofite
mit den nervigen Billigkunstwerken.
Spätestens, wenn „Sweety“ zum X-ten Mal seinen quietschigen Song in der Werbung von Jamba
über den Äther trällert, kann man sich einer gewissen Mordlust
an der flauschig gelben Computerkreation nicht mehr erwehren.
Für den einen eher befremdlich, von seinem Handy angebellt, angeblökt
oder noch besser, angefurzt zu werden, gibt es gerade unter den
Jugendlichen immer mehr, die mit wachsender Begeisterung die Klingeltöne
nebst mehr oder weniger gelungenen Animationen herunterladen.
Gemeinsam sitzt man dann in geselliger Runde und spielt sich gegenseitig
die neuesten Errungenschaften vor. Es soll wirklich Spaß machen,
sich die teilweise grottig schlechten Animationen, die in ihrer
Qualität an die Anfänge der Playstation oder des Gameboys erinnern,
anzusehen und sich dabei die Ohren von Tönen volljaulen zu lassen,
die im günstigsten Fall noch an das Blasen auf einem Kamm oder
das Kratzen auf dem Waschbrett erinnern. Die Tiefen dieses Genusses
konnten sich mir bisher noch nicht erschließen.
Im Gegenteil dazu kann man allerdings
die Reaktion der Eltern sehr gut nachempfinden, die anschließend
die horrende Telefonrechnung in Händen halten. Der Schmerzensschrei
ist dann wahrscheinlich so authentisch, dass er bestens als Klingelton-Download ge-
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eignet wäre. Da liegt es doch nahe, als neuesten Verkaufsschlager
die Download-Klingeltöne gleich als Paket mit der Schuldnerberatung
anzubieten. Führt man sich mal vor Augen, mit welchen Summen sich
Jugendliche durch Handyrechnungen bereits ver-schulden bzw. verschuldet
haben, sicher nicht die schlechteste Idee für die Nutzung einer
neuen Marktlücke. Alles aus einer Hand, wir verursachen ihre Schulden
und wir verwalten sie! Wohl den Eltern, deren Sprösslinge nicht
von diesem Virus infiziert sind und deren Telefonrechnung sich
deshalb noch in erschwinglicher Höhe bewegt.
Einen gewissen humoristischen Aspekt an der ganzen Sache kann man jedoch nicht von der Hand
weisen. Speziell, wenn der junge Mann, dessen Handy mitten im
Supermarkt eindeutig orgastische Töne von sich gibt, das gute
Stück nicht schnell genug aus der Hosentasche befördern und zum
Schweigen bringen kann, bevor er mit hochrotem Kopf zwischen grinsenden
Miteinkäufern steht.
Hier wird sicher dringend ein neuer Klingelton-Download
fällig. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Modeerscheinung sich
genauso schnell totläuft wie Tamagotchis und piepende Schlüsselanhänger.
Bei mir klingelt übrigens gerade das Handy, kaum zu glauben, aber
wahr, es klingelt einfach nur wie ein ganz normales Telefon. Diese
Rückständigkeit gönne ich mir und meiner Geldbörse einfach.
Jutta Reuß
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