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Kunterbuntes 4/8
August 2006
Filmrezension
Volver (Zurückkehren)
Der spanische Kultregisseur Pedro Almodóvar ist emanzipierten Frauengruppen und eingefleischten Cineasten gleichermaßen ein Begriff: „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ (1988) ist hierzulande seit Jahrzehnten Kult. Almodóvar zeichnet in seinen bildhaft-künstlerisch ambitionierten und in ihrer Perfektion gern mit Theaterspielen verglichenen Filmen pointierte Frauen-bilder, wie sie das europäische (vom amerikanischen ganz zu schweigen) Kino selten sieht: einfühlsam wie es Frauen nun mal sind, überzeichnet, wie sich wohl nur Frauen selbst sehen, und ironisch-überspitzt, wie es eigentlich doch wohl nur Frauen selbst formulieren können.
Auch sein neuester Film „Volver“ („Zurückkehren“) weist alle Qualitäten des Frauenverstehers auf, ohne dadurch zum Weichei zu konvertieren: Raimunda (grandios perplex: Penelope Cruz) hat sich soeben von ihrem Freund getrennt, weil dieser ihre Tochter sexuell belästigt hat. Erfahren hat sie dies im Moment ihrer Rückkehr vom Begräbnis ihrer geliebten Tante, welches in Raimundas Heimatdorf stattfand. In diesem versponnenen                     
spanischen Dorf ticken die Uhren noch anders, und keiner der Bewohner zweifelt daran, dass Raimundas Mutter, die doch schon vor Jahren verstarb, die Tante bis zum heutigen Tage heimsucht.
Foto: Tobis FilmRaimunda, nach Madrid zurück-gekehrt und jetzt auf sich allein gestellt, über-nimmt kurzerhand das Restaurant eines zeitweilig verreisten Freun-des und verköstigt fast nebenbei noch eine komplette Filmcrew. Die Probleme nehmen überhand, als nicht nur der Geist ihrer Mutter plötzlich den Umzug in die große Stadt geschafft zu haben scheint, auch eine männliche Leiche wartet auf ihre fachmännisch-frauliche Entsorgung… Wer großartige Filmkunst jenseits des Mainstreams sucht, ist mit „Volver“ bestens bedient: Herrliche Farben vermischen sich mit einer nicht immer stringenten Handlung, die jederzeit Freiraum lässt für eigene Interpretationen.
Corinna Kahl
Foto: Tobis Film
Buchrezension
„Der Krieg ist nicht mit dem Waffenstillstand beendet“
Der Roman „Späte Heimkehr der Blumen“ von Uscha Wolter
Herbst 1953 im Nachkriegsdeutschland. In der DDR ist der Volksaufstand niedergeschlagen worden, das Wirtschaftswunder und auch das Wunder von Bern stehen noch aus. Ein kleines Wunder erlebt dafür die kleine Lilli: Nach achtjähriger russischer Kriegs-gefangenschaft kehrt ihr Vater nach Hause zurück.
Ein Stück deutscher Geschichte. Damals eines der dringendsten Probleme des öffentlichen Alltags, heute fast vergessen: Mehr als drei Millionen deutsche Soldaten befanden sich bei Ende des zweiten Weltkrieges 1945 in sowjetischer Gefangenschaft, schätzungsweise ein Drittel von ihnen überlebte die Strapazen in den Lagern nicht. Die Sowjetunion unter Stalin entließ diese Kriegsgefangenen nur sehr zögerlich. Nach Stalins Tod sollte es noch bis 1955 dauern, bis es Konrad Adenauer gelang, die letzten 10.000 deutschen Kriegsgefangenen durch zähe Verhandlungen mit dem Sowjetregime heimkehren zu lassen.
Lillis Vater Jonni Blume findet seine alte Heimat nicht mehr wieder, als er zu seiner Familie zurückkehrt. Die Uhren haben sich weitergedreht, während für ihn im Lager die Zeit stillstand. Noch schwerer hat es seine kleine Tochter, die sich nichts sehnlicher wünscht als Normalität. Einen liebenden Vater. Ein Familienleben. Doch der Vater ist traumatisiert, zu schrecklich waren die in Russland erlebten Ereignisse, als dass in der Familie viel darüber gesprochen werden könnte.
Foto: Amazon
Mit den Jahren steigern sich die Konflikte zwischen Vater und Tochter und erst nach dem Tod des Vaters lernt Lilli ihn richtig zu verstehen.
Es ist immer eine Grat-wanderung, ein Buch mit autobiographischen Zügen zu schreiben. Die Waage zu halten zwischen dem, was sich im eigenen Inneren abspielt und dem, woran man den Leser teilhaben lassen möchte, ohne dass dieser sich wie ein Voyeur vorkommt. Uscha Wolter, die erst nach dem Tod ihrer Mutter liebevolle und sehnsüchtige Feldpostbriefe ihres Vaters fand, gelingt diese Grat-wanderung geradezu bravourös. Mit wohltuend ge-setzten, offenen und warmen Worten beschreibt sie die Erlebnisse der heranwachsenden Tochter und durchsetzt sie immer wieder durch authentische Berichte des Vaters aus seiner Gefangenschaft. So werden die inneren Konflikte beider Protagonisten transparent, nach-vollziehbar und erklärbar.
Eingebettet in die Geschichte unseres Landes in den Jahren nach dem Weltkrieg wird das zeitlose Thema der Auseinandersetzung zwischen Heranwachsenden und ihren Eltern hier in einer versöhnenden Form präsentiert, die Mut macht. Mut, aus dem Kreis des Verdrängens herauszutreten, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen und dadurch inneren Frieden zu finden.
Corinna Kahl · Foto:Amazon
 
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