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Gesellschaft & Medien 4/4
September 2010
Ich weiß, was Du vorhin getan hast
StudiVZ steht immer wieder in der Kritik, weil es Hackern gelingt, Informationen und Profile der User zu sammeln und zu veruntreuen, z.B. deren Inhalte der Werbeindustrie zugänglich zu machen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Verwaltung der von Benutzern in Fotoalben hochgeladenen Bilder: StudiVZ speichert diese Bilder in Verzeichnissen auf einem Webserver, sie sind ansonsten aber ungeschützt und können, selbst wenn sie als privat
markiert wurden, von jedem Internetnutzer angesehen werden, dem die URL bekannt ist. Um die Bilder weiter zu verbreiten genügt es, die URL ins Internet zu streuen.
Glossar:
„gruscheln“ - Funktion der Kontaktaufnahme mit anderen Mitgliedern, möglicherweise aus den Worten „grüßen“ und „kuscheln“ zusammengezogen, oder aus dem Fränkischen für „suchen“.
Von 15 Minuten Ruhm bis zum gläsernen Verbraucher
Was ist den sozialen Netzwerken gemein? Die rasante Verbreitung von Informationen. Das Internet kann eine Lawine auslösen, deren Folgen nicht immer berechenbar sind. Zuschauern der Fußball-WM im Sommer 2010 ist das Lied noch im Ohr: Mit ihrem Cover von Lena Meyer-Landruts Grand-Prix-Erfolg „Satellite“, welches sie passenderweise „Schland, oh Schland“ betitelten, schaffte es eine Gruppe Münsteraner namens Uwu Lena ganz ohne offizielle PR aus dem Stand, ihren WM-Song überhaupt in die deutschen Charts zu bringen. Einmal auf dem Videokanal Youtube eingestellt, war das Lied nicht mehr aus der Welt zu schaffen, auch nicht nach einem Verbot durch die Halter der Urheberrechte, die EMI Music Publishing. Uwu Lena nahmen das Video zwar aus dem Netz, jedoch war das Video schon von zu vielen Usern heruntergeladen worden, die es einfach wieder hochluden. Schlussendlich beschloss die EMI Music Publishing, das Lied kommerziell zu vertreiben, und Uwu Lena wurden von Universal Music und Raab TV GmbH unter Vertrag genommen.
Im Internet kehren sich die Regeln der freien Marktwirtschaft um, nicht mehr das Angebot bestimmt die Nachfrage, sondern vielmehr die Nachfrage das Angebot – denn nur, wer viele Klicks erzielt, findet Beachtung. Unternehmen sind mehr denn je darauf angewiesen, ihre Produkte auf die Konsumenten abzustimmen, denn was Hans in der eigenen Umgebung nicht findet (und vielleicht auf ein zweitrangiges Produkt zurückgegriffen hätte), findet er jetzt ganz leicht nebenan, weil es ihm bestimmt ein Freund empfiehlt. Oder eben Facebook.
Facebook sammelt aber nicht nur allgemeine Daten der User, sondern für das Marketing viel entscheidendere Informationen: Was mag der User? Was liest er gern? Welche Filme schaut er, welche Kosmetika kauft er, wie verbringt er am liebsten seinen Urlaub? Unternehmen können ihre Werbung besser denn je auf eine ganz bestimmte Zielgruppe abstimmen, die Facebook für sie herausfiltert, etwa so: Männlich, 25-39 Jahre alt, lebt in der Großstadt, fährt ein schnelles Auto, raucht, und guckt gern Filme aus den 80er Jahren. Sollte Altschlagerstar Markus einmal in München ein Konzert geben, so wird „männlich“ mit Sicherheit darüber informiert. Du kaufst gern Bio-Produkte? Der nächste Bio-Großmarkt in deiner Stadt wird dich per Facebook-pay-per-click-Werbung sicherlich über seine Neueröffnung informieren.
Während solche Informationen derzeit nur anonymisiert von Facebook weitergegeben werden, sorgen viele User selbst dafür, dass soziale Netzwerke sich für sie zum großen Fettnäpfchen auswachsen. Du lässt dich gerade scheiden und kämpfst mit deiner Frau um das Sorgerecht für das gemeinsame Kind? Zu dumm, dass du in deinem Netzwerk angegeben hast, Single und kinderlos zu sein, der Anwalt deiner Frau freut sich über die Steilvorlage. Vorbestraft wegen Drogenkonsums? Es soll schon Fälle gegeben haben, wo der Bewährungshelfer auch nichts mehr tun konnte, als seitens der Anklage im Netzwerk veröffentlichte Fotos vom Drogenkonsum vorgelegt wurden.
Die Diskussion über Datenschutz und Sicherheit im Internet und insbesondere in sozialen Netzwerken ist in vollem Gange, und dies ist gut so. MySpace zum Beispiel gilt bis heute als bevorzugter Jagdgrund für Pädophile, die hier mit potenziellen Opfern anbandeln. Die Verbreiter von Spam finden immer wieder Lücken in den Sicherheitssystemen der Anbieter, wodurch Userprofile und Daten zugänglich werden, mit denen sich später viel Geld verdienen lässt. Hier muss sicherlich noch viel passieren. Doch Angst vor dem gläsernen Menschen muss nicht sein, es reicht, wenn man seine Informationen nicht wahllos preis gibt - und vor allem nicht alle Angebote ohne Prüfung annimmt. Wie sagte es neulich ein lieber Mituser so lakonisch? „Facebook kennt meinen Namen, weiß, wie ich ausschaue und was für Musik ich gern höre. Das tun meine Nachbarn auch. Das ist nichts, dessen ich mich schämen müsste.“
Corinna Kahl
Foto Daniels Twitterseite: © twitter.com, Positive Energie GmbH
Foto Daniels MySpace-Backgroundbild: © Positive Energie GmbH
Foto Ashton Kutcher: © TechCrunch50-2008 at http://flickr.com/photos/30275096@N08/2841210508
 
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