Stella
Fortsetzung von Seite 14
Einen Blick in jene selige Ferne, in jenes ewige Bleiben – Allein, allein ist's Trost in diesem fürchterlichen Augenblicke.
Fernando, sie bei der Hand fassend, ansehend, sie umarmend:
Nichts, nichts in der Welt soll mich von dir trennen. Ich habe dich wiedergefunden.
Cäcilie: Gefunden, was du nicht suchtest!
Fernando: Laß! laß! – Ja, ich habe dich gesucht; dich, meine Verlassene, meine Teure! Ich fand sogar in den Armen des Engels hier keine Ruhe, keine Freuden; alles erinnerte mich an dich, an deine Tochter, an meine Lucie. Gütiger Himmel! wieviel Freude! Sollte das liebenswürdige Geschöpf meine Tochter sein? – – Ich habe dich aufgesucht überall. Drei Jahre zieh ich herum. An dem Ort unsers Aufenthalts fand ich, ach! unsere Wohnung verändert, in fremden Händen, und die traurige Geschichte des Verlusts deines Vermögens. Deine Entweichung zerriß mir das Herz; ich konnte keine Spur von dir finden, und meiner selbst und des Lebens überdrüssig, steckt ich mich in diese Kleider, in fremde Dienste, half die sterbende Freiheit der edeln Korsen unterdrücken; und nun siehst du mich hier, nach einer langen und wunderbaren Verirrung wieder an deinem Busen, mein teuerstes, mein bestes Weib!
Fernando beschließt, zusammen mit Cäcilie und Lucie heimlich abzureisen.
Vierter Akt
Fernando scheut sich davor, Stella die Wahrheit zu sagen. Er trifft sie im Garten an und beide schwelgen in Erinnerungen an frühere Zeiten. Annchen kommt hinzu und fragt Fernando, wo er denn bleibe, er wolle doch mit Madame Sommer und Lucie abreisen. Stella ist verstört und versteht nicht, doch Fernando gesteht ihr die Wahrheit.
Fernando: Stella! ich bin ein Bösewicht, und feig; und vermag vor dir nichts. Fliehen! – Hab das Herz nicht, dir den Dolch in die Brust zu stoßen, und will dich heimlich vergiften, ermorden! Stella!
...
Fernando: Stella, die ich in meinen Armen fasse! Stella! die du mir alles bist! Stella!
Kalt.
Ich verlasse dich!
Stella, verwirrt lächelnd: Mich!
Fernando mit Zähneknirschen: Dich! mit dem Weibe, das du gesehen hast! mit dem Mädchen!
Stella: Es wird so Nacht!
Fernando: Und dieses Weib ist meine Frau!
Stella sieht ihn starr an und läßt die Arme sinken.
Fernando: Und das Mädchen ist meine Tochter! Stella!
Er bemerkt erst jetzt, daß sie in Ohnmacht gefallen ist.
Cäcilie und Lucie kommen zurück und kümmern sich besorgt um Stella.
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Fünfter Akt
Stella sitzt in ihrem Kabinett und versucht, Fernandos Porträt aus dem Rahmen zu lösen. In stiller Verzweiflung und Zerrissenheit sinniert sie über ihre hoffnungslose Liebe. Sie ist entschlossen, den Ort zu verlassen und in ihre Heimat zurückzukehren.
Im Saal sinniert der ebenfalls verzweifelte Fernando über seine missliche Situation, als Cäcilie hinzukommt und ihn bittet, bei Stella zu bleiben.
Cäcilie: Du sollst glücklich sein! Ich habe meine Tochter – und einen Freund an dir. Wir wollen scheiden, ohne getrennt zu sein. Ich will entfernt von dir leben und ein Zeuge deines Glücks bleiben. Deine Vertraute will ich sein; du sollst Freude und Kummer in meinen Busen ausgießen. Deine Briefe sollen mein einziges Leben sein, und die meinen sollen dir als ein lieber Besuch erscheinen – – Und so bleibst du mein, bist nicht mit Stella verbannt in einen Winkel der Erde, wir lieben uns, nehmen teil an einander! Und so, Fernando, gib mir deine Hand drauf.
Fernando: Als Scherz wär's zu grausam; als Ernst ist's unbegreiflich! – Wie's nun will, Beste! – Der kalte Sinn löst den Knoten nicht. Was du sagst, klingt schön, schmeckt süß. Wer nicht fühlte, daß darunter weit mehr verborgen liegt; daß du dich selbst betrügst, indem du die marterndsten Gefühle mit einem blendenden eingebildeten Troste schweigen machst. Nein, Cäcilie! Mein Weib, nein! – Du bist mein – ich bleibe dein – Was sollen hier Worte? Was soll ich die Warums dir vortragen? Die Warums sind soviel Lügen. Ich bleibe dein, oder –
Cäcilie: Nun denn! – Und Stella?
Fernando fährt auf und geht wild auf und ab.
Cäcilie: Wer betrügt sich? Wer betäubt seine Qualen durch einen kalten, ungefühlten, ungedachten, vergänglichen Trost? Ja, ihr Männer kennt euch.
Cäcilie zitiert die Geschichte eines Biedermannes, der auf Reisen in Sklaverei geriet, von einem Mädchen gerettet wurde, dieses dann mitnimmt und nach Heimkehr seine Ehefrau über das Schicksal der Retterin bestimmen lässt. Diese entscheidet sich aus Dankbarkeit für ein Leben zu dritt.
Ab hier gibt es nun zwei verschiedene Varianten des Stückes. In der ursprünglichen Fassung von 1775 beschließen beide Frauen einträglich, bei Fernando zu bleiben:
Cäcilie faßt ihn: Stella! nimm die Hälfte des, der ganz dein ist – du hast ihn gerettet – von ihm selbst gerettet – du gibst mir ihn wieder!
...
Fernando, beide umarmend: Mein! Mein!
Stella, seine Hand fassend, an ihm hangend: Ich bin dein!
Cäcilie, seine Hand fassend, an seinem Hals: Wir sind dein!
Diese Variante stieß jedoch auf erheblichen gesellschaftlichen Widerstand, so dass Goethe sich
Fortsetzung
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