Interview mit Ulli Lommel
CK: Mich erinnert der Film an Elemente von Initiation, von Erwachsenwerden, von Begleiten... die Begleiter, die auftauchen auf und dir in wichtigen Momenten deines Lebens eine Anleitung geben, die einen dann aber auch wieder verlassen, wenn man die Prüfungen gemeistert hat. Uralte archaische Elemente.
UL: Schön, dass du es so siehst – ich sehe es inzwischen auch ein bisschen so. Ich spüre natürlich auch jetzt gerade, kurz bevor ich wieder nach Amerika gehe und Daniel jetzt auch wieder etwas anderes macht, wie wir schon voneinander loslassen. Auch das ist wie ein Tanz, wie Ebbe und Flut, ein Kommen und Gehen, ein Atmen im Leben, einatmen und ausatmen. Ich würde mich freuen, wenn ich auf Daniels Lebensweg in so einem Moment gekommen bin, mit ihm zusammen etwas gemacht habe – und dann gehen wir beide, wie und wo auch immer, wieder unserer Wege.
CK: Wird es schwer, ihn loszulassen?
UL: Loslassen ist immer nicht leicht. Aber ich habe das Gefühl, dass wir etwas sehr Schönes zusammen gemacht haben, was gefällt und bleibt.
CK: Was kommt als nächstes?
UL: Bei mir? Ich werde auf jeden Fall wieder einen Film in Amerika drehen, wahrscheinlich schon im September, dazu arbeite ich im Moment an zwei verschiedenen Drehbüchern, davon ist eines das, was ich eigentlich schon letztes Jahr hätte machen sollen, auch das ist so ein Tanz hin und her. Ich lebe ja nun schon seit fast dreißig Jahren in Amerika, und sich mal auf das Deutsche, mal auf das Amerikanische einlassen, das bedeutet für mich dieser Tanz. Es war sehr schön für mich, quasi aus der Entfernung heraus mich durch diesen deutschen Film Deutschland anzunähern, es war auch toll, diesen Film ausgerechnet in Bayern zu machen. Und jetzt ist eben wieder die Zeit gekommen, dass ich etwas ganz anderes mache.
CK: Lachst Du über den Rummel, den der Film macht, über die Wellen, die da übereinander schlagen, über das Polarisierende in der Presse?
UL: Ja. Über solche Sachen wie „Kult oder Kacke“ als Überschrift. Oder letztens: „Letzte Klappe oder Kickstart für die Karriere“, stand in der Bild am Sonntag. Solche Zeilen finde ich schon toll, das passt ja auch in diese ganze Schiene hinein. Ich finde umstrittene Sachen immer sehr spannend. Daniel hat sich darüber Gedanken gemacht und ich habe ihm gesagt, er solle sich freuen, dass es so ist. Ich finde das besser, als wenn man nichts bewegt, nichts provoziert. Er soll sich freuen darüber, dass er so umstritten ist.
CW: Wir hatten es vorher schon angesprochen, diesen extremen Hass, diese Ablehnung. Dies wird ja häufig zurückgeführt auf die angeblich nicht vorhandene Leistung, die Daniel bringt. Dieser extreme Hass, woher kommt er? Wodurch resultiert er?
UL: Erstmal glaube ich, dass diese mangelnde Leistung nur eine Ausrede ist – das ist Quatsch!
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Deutschland hat natürlich eine Geschichte… man muss 10 Jahre kämpfen, 20 Jahre durch Armut gehen, damit dann 100 Jahre nach seinem Tod irgend jemand mal von „Niveau“ spricht. So sehen ideale deutsche Schicksale aus, das finden die Deutschen super. Ich finde das alles Quatsch! Ich merke es ja an mir selbst: Ich habe jahrelang Schauspiel studiert und die Schauspielerei von der so genannten „Pieke“ auf gelernt, habe wie gesagt jahrelang gebraucht um diesen ganzen Mist wieder zu verlernen – diese ganzen Ideen, die man in Deutschland hat, dass man etwas erst jahrelang lernen muss, etwas sich „verdienen“ muss, halte ich für total überholt.
Darüber hinaus habe ich eine Theorie entwickelt, was diesen Daniel-Hass betrifft, der für mich mit zwei Dingen zu tun hat. Einmal, ich habe ja drei Jahre mit Andy Warhol zusammengearbeitet und der hat einmal etwas für mich ganz Entscheidendes gesagt. Er wurde einmal auf einer Pressekonferenz gefragt, was ihn denn nun zu dieser großen Pop-Ikone gemacht hat. Er dachte nach und sagte dann: „Ich glaube, das hängt nicht so sehr mit mir zusammen, sondern mit dem Andy Warhol in euch allen.“ Das ist die eine Geschichte. In Bezug auf Daniel heißt das, der Hass auf Daniel hat weniger mit Daniel selbst zu tun als viel mehr mit dem „unbewältigten Daniel“ in all denen, die ihn hassen.
Das andere ist eine Geschichte, die ich vor ein paar Wochen zusammen mit einer Freundin in München erlebte, mit der ich 30 Jahre lang zusammen gelebt habe. Wir redeten über Dinge wie Liebe und Hass und sie sagte: „Deutschland ist da sowieso etwas ganz Besonderes“. Ich fragte sie, wie sie das meinte, und sie antwortete: „Neulich besuchte ich meinen 80jährigen Vater und fragte ihn:"Papa, liebst du mich eigentlich?" Er wurde ganz unruhig und nervös und sagte: "Das weißt du doch! Darüber muss man doch nicht reden". Ich sagte:"Aber wenn du es tust, dann könntest du es mir doch auch sagen!"." Ach Quatsch," entgegnete der Vater und wurde richtig stinksauer.“ Vier Wochen später kam der Vater sie dann in München besuchen und stammelte ganz unbeholfen: „Liebe Brigitte, ich l-l-liebe dich“… und sie umarmten sich.
Dies ist für mich eine echt deutsche Geschichte. In Deutschland, so wie in keinem anderen Land der Welt – vielleicht Japan noch – wird so militärisch erzogen. Gut, jetzt nicht mehr so extrem, aber es ist immer noch die Tradition, die Tradition alles Deutschen, die man nicht von heute auf morgen über Bord werfen kann.
CK: Die so genannte „Schwarze Pädagogik“.
UL: Genau. Ich bin als Kind verprügelt worden, alle möglichen Dinge, ich durfte als Junge nicht weinen. Man darf seine Gefühle nicht zeigen und man muss immer etwas vortäuschen. Wie beim Militär. Und hier kommt jetzt plötzlich der Daniel, den kümmert all das einen Scheiß, der benimmt sich wie er will, der schminkt sich, zieht Mädchenkleider an, er benimmt sich auch hysterisch und all das auch noch vor aller Öffentlichkeit. Und da glaube ich passiert Folgendes, dass er nämlich für die einen so eine Art Erlöser darstellt - denn sie möchten es ja eigentlich auch so machen, und er tut es für sie alle - und dafür lieben sie ihn.
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