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Aktuelles 9/20
August 2004
Interview mit Ulli Lommel
Gerade weil die Liebe so schwer auszudrücken ist – wie soll ich die Liebe auf dokumentarische Weise ausdrücken? Da müsste ich mich ja jahrelang mit der Kamera auf der Straße aufhalten und warten, bis zufällig ein Samariter vorbeischaut, der jemandem gerade das Leben rettet! Wie soll ich also die Liebe ausdrücken? Ich muss mir ein phantastisches Mittel ausdenken, das dann „märchenhaft“ genannt wird.
Viele bezeichnen den Film ja als "märchenhaft", vielleicht, weil sie Liebe und Zärtlichkeit nur als Märchen sehen können. Und sagen dann: "Ja, der Ulli hat da so ein Märchen gemacht". Für mich dagegen sind die "märchenhaften" Szenen teilweise realistischer als die realistischen Szenen. Aber das ist meine eigene Auffassung.
CK: Können Sie mir dann beibringen, wie man Antis in Kakerlaken verwandelt?
UL: Ach! *lacht*
*schüttelt bedauernd den Kopf*
CK: Wie war es, mit einem 18-jährigen Teenager zu drehen, der die letzten Jahre das Showbusiness so knallhart hat durchziehen müssen, der jetzt mitten in seiner Entwicklung steht? Wie hat sich Daniel eingebracht in den Film?
UL: Erstmal empfinde ich Daniel – und zwar von der allerersten Sekunde an, als ich ihn sah – als etwas, das ich als eine "alte Seele" betrachte. Eine alte Seele kann sechs Jahre alt sein und ist im Grunde genommen tausend Jahre alt. Sie hat eine Weisheit und ein Verständnis, welches tausend Jahre alt ist. Um dies aber nicht zu zeigen, vollbringen diese alten Seelen oft einen Trick: Sie stülpen den Clown nach draußen, damit die, die sie nicht erkennen sollen oder können, einfach nur den Clown sehen. Aber diejenigen, die mehr sehen können oder wollen, die können - quasi wie mit einem Passwort am Computer - dann dadurch hindurch sehen. Diejenigen, die das "Passwort" von dem Clown verstehen, gucken durch – für die anderen, für die Nichteingeweihten sozusagen, bleibt das Oberflächliche, bleib der Clown, und unter Umständen auch das Lächerliche – was diese Antis ja auch immer wieder gegen ihn verwenden.
Für mich ist Daniel von Anfang an die Reinkarnation einer weisen, alten Seele, die dieses "Durchgeknallte" - oder wie auch immer man es nennen möchte – als Schild benutzt, damit nur ganz Bestimmte überhaupt durchgucken. Und so waren die Dreharbeiten: Daniel hat gesehen, dass ich ihm mit Verständnis und einer gewissen Liebe begegne, ich verehre ihn im wahrsten Sinne des Wortes. Ich glaube, das hat er auf einer bestimmten Ebene sofort verstanden. Deswegen liefen die gesamten Dreharbeiten völlig nahtlos. Er hat wahrscheinlich nie das Gefühl gehabt, dass ich irgendetwas bei ihm ausbeute, dass ich den alten Daniel vermarkten will und er hat auch gemerkt, dass „der Ulli“ bestimmte Sachen von ihm zeigen will, die ich auch selbst gern an ihm kennen lernen möchte.
Die gesamten Dreharbeiten verliefen wunderbar. Wenn ich ihm etwas vorgeschlagen habe, von dem er meinte, dass er es nicht ganz umsetzen kann, dann ist er mit einer anderen Idee gekommen. Er hat nie etwas gemacht, was für ihn nicht authentisch war, wozu er nicht stehen konnte.
Das andere, was sehr gut funktionierte beim Drehen: Ich fand es schön, dass der Daniel kein Schauspieler war, der fünf Jahre lang eine Schauspielschule besuchte und danach noch zehn Jahre in die Provinz gegangen ist, um dort an irgendwelchen Theatern zu spielen – so wie ich das zum Teil gemacht habe, und ich brauchte 20 Jahre, um diesen ganzen Mist wieder zu VERlernen… Ich war mir also darüber klar, über die ganzen Vor- und Nachteile, kein gelernter Schauspieler zu sein, und ich habe mir überlegt, ihm beim Drehen überhaupt kein Drehbuch zu geben, sondern ihm die Geschichte erzähle. Jedes Mal, wenn wir eine Szene drehten, erzählte ich ihm, wo wir waren in der Geschichte. Die Kamera lief schon, wir unterhielten uns über diese Szene, während die Kamera schon lief, und ich sagte Daniel, pass mal auf, sag jetzt mal etwas Passendes, und er machte sich dann Gedanken dazu. Manchmal hat er sich eine halbe Minute lang Gedanken gemacht über den Satz, und dann hat er ihn irgendwo aus sich herausgeholt, aus seinem tiefsten Inneren, aus seiner eigenen Wahrheit, jedes Mal! Ich war völlig hin und weg.
Ich war sehr glücklich mit der Idee, alles so aus dem Moment heraus zu entwickeln. Und es funktionierte. Es hätte auch andere gegeben, die dies nicht gekonnt hätten, die das einfach nicht gebracht hätten. Daniel hat sich der Sache hingegeben, hat dem Moment einfach vertraut – und es hat immer funktioniert. Es gibt jetzt Szenen, wo man auch noch sieht, wie er das macht, zum Beispiel in der Garderobe. Diese Szene mit mir habe ich bewusst sehr langsam geschnitten, weil ich grade die Momente, in denen er nachdenkt, so unheimlich gut finde. Für mich ist das, was er zum Beispiel dort in der Garderobe vollbringt, Schauspielkunst auf der höchsten Ebene! Beim Schneiden dieser Szene waren wir von diesem Eindruck ganz weg. Daniel ist ein wunderbarer Schauspieler.
CK: Zickte Daniel manchmal? Man sagt ihm ja eine gewisse Divenhaftigkeit nach...
UL: Ach, es gibt schon Momente, wo er sich ein bisschen wie eine Diva benimmt, schon! Das finde ich auch lustig. Er findet sich dann auch lustig – es ist alles auch nicht so ernst gemeint. Es gehört auch ein bisschen zum Spiel dazu. Daniel ist überhaupt sehr spielerisch. Wenn man sich mal anschaut, wie es ist, wenn bei den Buddhisten der neue Dalai Lama gewählt wird – der ist häufig ja auch ein Kind von sechs oder weniger Jahren. Und dieser sechsjährige Dalai Lama, dieses Kind, ist auch eine ganz alte Seele – aber darf auch noch völlig verrückt spielen. Selbst der Dalai Lama heute macht Witze und sitzt nicht wie der Papst völlig ernst herum, er spielt ja auch! Das Wunderbare an allen tollen Gurus, die ich kenne, ist ihre Spielerei. Das Kind bleibt immer in dir drin, und wenn du es dir dann auch erhalten kannst, ist das sowieso super. Die alte Seele ist in dir trotzdem von Anfang an drin – wie bei Daniel.
 
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