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Aktuelles 8/20
August 2004
Tanz zwischen Phantasie und Realität
Interview mit Ulli Lommel
Auf jeden Fall werden Gefühle frei, das Herz öffnet sich... und das ging nicht nur mir so, sondern auch meiner Freundin und den meisten Zuschauern – die geweint haben! Das hat mich die ganze folgende Nacht derart beschäftigt, dass ich angefangen habe, mich für den Daniel Küblböck zu interessieren, über das Konzert hinaus. Ich wollte wissen: Wo kommt er eigentlich her, wer ist das überhaupt? Dann ging ich ins Internet und war erstmal völlig schockiert, weil ich im Internet erstmal das genaue Gegenteil zu Daniel gefunden habe: nämlich Hasstiraden über Daniel Küblböck und zwar derartig extrem, so voller Hass, es war wirklich abscheulich! Da muss sich etwas derartig Außergewöhnliches abspielen, dachte ich, dieser Sache muss ich einfach nachgehen.
Ich verbrachte den ganzen Tag im Internet und am Ende des Tages war mir klar, dass ich einen Film über Daniel Küblböck machen muss und rief sofort seinen Vater an. Wir fuhren umgehend mit dem Zug nach Passau und ich erzählte ihnen von meinem Plan. Ich wollte einen Film über Daniel machen, der sich mit dem Phänomen Daniel auseinandersetzt, insbesondere mit dem Hass. Ich dachte mir, dass man so eine Situation erfinden müsste, in der Daniel auf seine ganz eigene Weise auf diesen Hass reagiert und die, die ihn hassen, entmachtet – mit seinen Mitteln. Es fiel mir sehr schwer, mir dazu etwas einfallen zu lassen, weil ich viel lieber die Liebe zeigen wollte, Liebe und wie sie wirklich funktioniert.
Komischerweise fühlen sich die Leute mit Hass, Brutalität und Gewalt viel eher zuhause als in der Liebe. Es ist ja auch so in den Medien: Es geht nur um Horror, um Zerstörung, wer hat gerade wen umgebracht und wie viele Tote hat es gegeben? Es geht nur noch um Tod und Zerstörung! Wenn man damit aufwächst, gehören diese Themen zur Unterhaltung und irgendwann akzeptiert man das einfach, weil es dazu gehört. Auch im Kino ist das so, da werden Leute auf perfekte Art und Weise umgebracht und es funktioniert in der Gesellschaft, dass man sich davon unterhalten fühlt. Jeder akzeptiert das als das Normalste von der Welt.
Wenn Liebe gezeigt werden soll oder Zärtlichkeit, Zuneigung und Freundschaft, packt das selten ein Regisseur. Ganz selten sieht man mal einen Film, in dem diese Themen funktionieren! Dessen war ich mir total bewusst, ich wusste auch, dass es eine Herausforderung ist, die für mich ein Riesenabenteuer darstellt. Aber ich war entschlossen, einen Film über die Liebe zu machen, um zu zeigen, wie der Daniel dies ausdrückt.
CK: Sollte der Film die Wirklichkeit abbilden – so wie Daniel tatsächlich damit umgeht? Oder sollte es eine Message sein an die Leute da draußen: "Guckt mal womit ihr euch so wohl fühlt?"
UL: Der Film zeigt nicht, wie Daniel tatsächlich damit umgeht, er ist in diesem Sinne keine Dokumentation. Es ist FIKTION, er zeigt, wie Daniel damit umgehen könnte oder wie man damit umgehen könnte – es ist natürlich kein Rezept.
Nicht jede Situation kann so gelöst werden wie im Film, aber er stellt eine Möglichkeit dafür dar. Und wenn man in einer Welt lebt, die pausenlos im Kriegszustand ist, wo Unterhaltung nur aus Gewalt und Zerstörung betrieben wird, dann kann man nur Möglichkeiten bieten, Möglichkeiten für gewisse Situationen. Insofern stellt die Art und Weise, wie der Daniel seine Feinde entwaffnet, auch nur eine Möglichkeit dar. Wenn sich der Zuschauer dann so eine Möglichkeit überlegt, vielleicht öffnen sich dann für ihn auch andere Wege, sich mit Gewalt und Hass auseinanderzusetzen.
Ich glaube, dass der Weg, auf dem wir uns befinden – Amerika zum Beispiel wird angegriffen von Menschen, die es hassen und man antwortet darauf mit noch größerem Hass, der wiederum noch größeren Hass hervorruft – wir befinden uns ja in einer endlosen Spirale des Hasses! Amerika verliert ja alle fünf bis zehn Jahre sozusagen seine Unschuld. Eigentlich haben sie diese Unschuld ja bereits vor 300 Jahren verloren, aber irgendwie heißt es immer wieder: „Amerika verliert seine Unschuld“. Als ich nach dem 11. September durch Amerika ging, da sahen die Menschen dort plötzlich irgendwie ganz anders aus. Ich dachte: "So muss es damals auch in der Nachkriegszeit gewesen sein!". Meine Mutter sagt immer auf meine Fragen danach, wie im dritten Reich alles so hatte kommen können: "Ja, wir wussten ja nichts, wir wollten ja nicht dann selbst in Schwierigkeiten kommen…". In Amerika ist es jetzt genauso. Minoritäten werden jetzt behandelt, als seien sie Schwerverbrecher oder Terroristen. Und jeder, der aussieht wie ein Araber – oder eine abwertende Bemerkung über George Bush macht, wird sofort als unpatriotisch oder als Feind des Staates betrachtet. Und die meisten Amerikaner, die es ja direkt nichts angeht, die schauen weg. Und dieses Wegschauen ist ein menschliches Phänomen, welches nicht nur die Deutschen in der Nazizeit gemacht haben, sondern was die Amerikaner in den letzten drei Jahren auch machen. Wenn es sie nicht persönlich betrifft, schauen sie weg. Und aus diesem Klima heraus kam ich also nach Deutschland und dies war sozusagen der Hintergrund meiner Danielbegegnung – und diese Klima spielte eine große Rolle dabei, dass ich mir ausgerechnet dieses Szenario für den Film auswählte. Daniel war dabei für mich der perfekte Protagonist.
Ich weiß, es gibt Stimmen in den Medien, die den Film total schlecht finden. Ein Journalist von der „Abendzeitung“ antwortete mir auf meine Fragen, warum ihm der Film nicht gefiele, er „funktioniere“ einfach nicht. Ich bat ihn um eine Erklärung, und er erwiderte: "Sie hätten aus dem Film einen reinen Dokumentarfilm machen sollen, dieser Mix aus Realität, Traumsequenzen und so weiter – das funktioniert eben einfach alles nicht". Ich habe mir ganz bewusst einen Tanz ausgewählt, der zwischen Phantasie und Realität sich hin und herbewegt, wie ein Tango, ein choreographierter Tanz, dem man sich öffnet – oder man öffnet sich ihm nicht. Dieser Tanz gefällt einem und man tanzt mit - oder er gefällt einem nicht, das ist doch auch okay.
 
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