Interview mit Dr. Volker Mertens
IE: Die Deutsche AIDS-Stiftung engagiert sich bereits seit 1987 für HIV-Positive bzw. an Aids erkrankte Menschen. Was genau können die Betroffenen an Hilfe bzw. Unterstützung erwarten
Dr. Mertens: Es gibt zwei große Felder der Hilfe: Das eine ist direkte materielle Hilfe, also wenn HIV-positive oder aidskranke Menschen in Not geraten sind, die in Deutschland leben, können sie sich an uns wenden und wir prüfen dann, ob Bedürftigkeit vorliegt und geben einmalige Nothilfen, also finanzielle Beträge, die in der Regel so um die 300,00 € liegen, zahlen die aus und bekommen hinterher auch Quittungen über angeschaffte Gegenstände. Wir prüfen also auch, dass wirklich mit dem Geld dann die Notlage behoben wird. Das machen wir ca. 3.600 bis 3.700 mal im Jahr.
Daneben fördern wir Hilfsprojekte für Betroffene. Das sind vor allen Dingen betreute Wohnprojekte. Da gibt es Wohnprojekte in Koblenz, in Essen, in Berlin. Also ganze Häuser, wo aidskranke Menschen zusammenleben können, aber betreut werden. Es gibt ein weiteres Thema, das für uns sehr wichtig ist: Das ist Rat für Menschen mit niedrigem Einkommen, dass sie sich gesund ernähren können; das ist ja eigentlich verständlich bei den steigenden Lebensmittelpreisen, die ja in aller Munde sind. Da gibt es von lokalen Aidshilfen Restaurants und Cafés, die wir bezuschussen und wo sogar in den Küchenbereichen HIV-positive Menschen arbeiten und praktisch für andere HIV-positive Menschen dann subventioniert wird, preiswerte aber gute Mahlzeiten herzustellen, die dann verkauft werden.
Daneben gibt es Krankenreisen, also für Menschen, die so krank sind, dass sie eigentlich nicht mehr alleine verreisen können, aber Genesungsreisen brauchen. Für die organisieren wir Gruppenreisen oder lassen es von lokalen Aidshilfen organisieren. Das sind so die drei Hauptaspekte, wo wir projektmässig arbeiten innerhalb Deutschlands.
Wir haben einige wenige Hilfsprojekte im südlichen Afrika, weil Aids ja eine globale weltweite Epidemie ist. Da helfen wir hauptsächlich HIV-positiven schwangeren Frauen, Aidswaisen und informieren Familien über HIV und Aids, wie sie sich schützen können. Das ist sozusagen der ganze Bereich, wo wir Geld bewegen, wo wir also mit Geld helfen. Und daneben gibt es quasi immaterielle Hilfe, nämlich Aufklärung und Information über HIV und Aids, wo wir versuchen, die Menschen zu erreichen, darüber zu informieren, wie sie sich vor HIV und Aids schützen können, aber vor allen Dingen HIV und Aids im Bewusstsein der Menschen halten. Also, wenn man sich die Medien hier so anschaut, dann hört man ja oft, HIV und Aids ist ein Thema für Afrika, weil da sehr viele betroffen sind. In Deutschland haben wir das Problem schon im Griff, aber es gibt ja jedes Jahr wieder Neuinfektionen mit HIV und wir denken, es ist wichtig, dass das Thema auch in Deutschland als Thema weiterhin begriffen wird, also der Schutz vor HIV, aber auch Lobbyarbeit für schon HIV-positive und aidskranke Menschen, damit HIV und Aids nicht weiter tabuisiert wird, sondern dass wir alle diese Menschen in die Gesellschaft rein nehmen. Für uns ist HIV und Aids
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eine Krankheit wie andere auch, aber wir haben das Gefühl, dass immer noch einige Tabus an dieser Krankheit hängen. Das merken wir auch bei den HIV-positiven Menschen selbst, die sich scheuen, über ihre Krankheit offen zu berichten, also ihren Freunden, ihrem Bekanntenkreis, selbst in den Familien. Wenn jemand an Krebs erkrankt, dann kann er sich des Mitleids seiner Umgebung sicher sein; wenn jemand HIV-positiv ist, dann ist er sich nicht immer sicher, sondern zieht sich eher noch zurück, und das ist eine zusätzliche psychische Belastung und das wollen wir nicht, das wollen wir vor allem für die Zukunft verhindern. Also wie gesagt: Einmal materielle Hilfe und aber auch Aufklärung und Information über HIV und Aids, das sind unsere Hauptaufgaben.
IE: Ist bei den von Ihnen angesprochenen Genesungs- reisen dann geschultes Personal dabei?
Dr. Mertens: Ja, wir haben einmal Genesungsreisen, wo meistens – oder man muss sagen immer – also immer sozialpädagogische Betreuung mitfährt und wir unterscheiden dann nochmal etwas feiner die Krankenreisen, wo dann in der Regel auch mindestens immer Krankenschwestern oder Krankenpfleger dabei sind und bei der Berliner AIDS-Hilfe finanzieren wir eine Reise, da fahren auch Ärzte mit. Also es gibt halt Leute, die brauchen tatsächlich täglich teilweise auch Substitution, wenn es einen Drogenhintergrund gibt, die brauchen Infusionen etc., da müssen einfach Ärzte mit dabei sein, um das Krankheitsbild zu beobachten. Das ist schon sehr kostenintensiv. Wir haben jetzt mal ausgerechnet bei unserem letzten Schreiben an die Spender, so ein Betreuer kostet uns am Tag 100 €, der dann für eine Gruppe von 6 bis 8 kranken Menschen zuständig ist. Und das kommt halt alles auf die normalen Reisekosten noch drauf.
IE: Die Deutsche AIDS-Stiftung finanziert sich unter anderem aus Spenden und Charity-Veranstaltungen, wie z.B. die von Daniel organisierte Gala heute Abend. Ist diese Art der Unterstützung in den letzten Jahren eher ansteigend, oder eher rückläufig? Können Sie einschätzen, ob die Anteilnahme der Bevölkerung zu- oder abnimmt?
Dr. Mertens: Das ist ein bisschen schwierig für uns zu sagen, weil wir in der etwas schwierigen Position sind, dass wir bei der Finanzierung unserer Hilfen vollständig auf Spenden und solche Benefizaktivitäten angewiesen sind und sich aus der Tradition heraus einige wenige Aktivitäten im Augenblick entfaltet haben, wo wir sehr viel Geld aus einem Abend bekommen. Diese Aktivitäten sind weitgehend stabil, also ich erinner nur mal an so’ne Berliner festliche Operngala im Berliner Opernhaus, das ist ein Abend, der findet schon seit 15 Jahren statt und bringt uns Nettoerlöse zwischen 300.000 und 500.000 €.
Wenn wir das haben, ist das sehr gut, aber wir sind natürlich auch in einer gewissen Abhängigkeit, d.h., wenn aus irgendeinem Grund so eine Veranstaltung mal wegbricht, dann fehlen uns auch plötzlich 300.000 bis 500.000 € und das tut dann weh bei einem Jahresetat von 2 bis 2,5 Millionen Euro.
Fortsetzung
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