Interview mit Dr. Volker Mertens
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Wir haben mehrere kleine Fernsehspots, die sich vor allem an HIV-positive Jugendliche richten, bzw. von – ich muss hier ganz genau sein – es handelt sich hier um eine Jugendgruppe HIV-positiver, HIV-negativer und Jugendlicher, die sich gar nicht haben testen lassen und nicht wissen, was sie sind, und diese haben gesagt, wir wollen nicht, dass über unsere Köpfe hinweg Aids-Spots gemacht werden, wir wollen selber was machen. Wir wissen eigentlich genau, wie Jugendliche ticken! Wir haben das dann finanziell bezuschusst und gesagt, ihr braucht jetzt ein Filmteam, ihr braucht ein Drehbuch, ein Skript und auch ein bisschen Betreuung, dann haben sie sich zusammengetan, sich über ein Jahr lang getroffen, und mittlerweile schon im dritten oder vierten Jahr erstellen sie jedes Jahr einen neuen Aids-Präventions-Spot. JUPO, Jugend positiv heißt diese Gruppe, und wir bieten diese Spots jedes Jahr zum Welt-AIDS-Tag auch den Fernsehsendern an. Im letzten Jahr hat ihn VIVA abgenommen, MTV und auch mehrere kleinere Sender. Das ganze gibt es dann parallel auch für Migrantinnen und Migranten, eine zweite Gruppe, die nur schwer erreichbar ist, und vor allem Migranten aus dem südlichen Afrika, die sehr stark von HIV und AIDS betroffen sind. Beides geschieht in Zusammenarbeit mit der AIDS-Hilfe Köln, welche die Gruppe vor Ort betreut und wir geben das Geld. Die Migranten haben jetzt im zweiten Jahr zusammen einen 30-Sekunden-Spot erstellt, den wir auch dem Fernsehen anbieten und der im letzten Jahr auch sehr gut nachgefragt worden ist. Er ist im letzten Jahr auch öfter gelaufen, ich kann jetzt aber nicht genau sagen, wann oder wie oft.
IE: kann man sich solche Spots auch z.B. im Internet anschauen?
Dr. Mertens: Wir planen gerade einen Umbau unserer Internetseite, damit ist Frau Hövener sehr stark beschäftigt, dort sollen die Spots dann auch abrufbar sein.
IE: Mal eine ganz persönliche Frage: Wie sind Sie dazu gekommen, die Deutsche AIDS-Stiftung zu unterstützen? Gab es da einen ausschlaggebenden Punkt?
Dr. Mertens: Ich kam kurz nach meinem Studium zur Deutschen AIDS-Stifung. Oder sagen wir es mal so: Ich bin zum Thema Aids gekommen kurz nach meinem Studium. Ich habe Sozialwissenschaften und Soziologie studiert, die „Lehre der Wissenschaft, wie menschliche Gemeinschaft funktioniert“, wie Kommunikation funktioniert, und ich bin damals von der AIDS-Hilfe Nordrhein-Westfalen, dem Landesverband der in Nordrhein-Westfalen beheimateten AIDS-Hilfen, gebeten worden, eine Studie zu machen, wie die soziale Lage von HIV-positiven Menschen ist.
Das war Ende der 80er Jahre, als noch vieles im Argen lag. Die Interviews gab es schon, meine Aufgabe bestand darin, alles in eine Dokumentation zu bringen. Als ich mir diese Interviews anhörte, habe ich zum ersten Mal hautnah mitbekommen, wie Menschen mit HIV und Aids leben, was sie im Alltag für Probleme haben, und was es
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für Diskriminierungen gibt, gerade auch in Deutschland im ländlichen Raum, wenn man in Kleinstädten lebt. Das hat mich sehr stark beeindruckt, beeinflusst, und als kurz danach eine Stelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit frei wurde bei der damaligen nationalen AIDS-Stiftung, die heute ein Teilbereich der Deutschen AIDS-Stiftung ist, habe ich aufgrund meiner Erfahrung, die ich gemacht hatte, gesagt, dies ist etwas, was ich sehr gerne machen würde.
Öffentlichkeitsarbeit heißt Verbreiten von Wahrheit, von Information, die nicht tendenziös ist, die aber schon ungeschminkt sagt, wie es betroffenen Menschen geht, und die auch die Lage nicht schön redet. Die sagt: „Wie kann man den Menschen helfen? Was müsste sich ändern?“
So bin ich dazu gekommen. Ich habe mich beworben, ich bin genommen worden, und ich bin sehr glücklich darüber. Dies war der Anstoß: vermittelte Gespräche von Betroffenen, die gesagt haben, wo ihnen der Schuh drückt, und was sie wirklich für schreckliche Probleme haben.
IE: Wenn sie jetzt den Lauf der Jahre zurückblicken: Ist es ein schwerer Beruf für Sie persönlich?
Dr. Mertens: Es ist, glaube ich, nicht so intensiv, wie es für Krankenschwestern oder für Ärzte ist. Es sind ja unheilbar kranke Menschen. Man kann Aids nicht heilen. Mann kann das HI-Virus, wenn es einmal im Körper ist, nicht wieder daraus entfernen. Alle Medikamente, die es gibt, können nur die Überlebenszeit verlängern. Um wieviel letztlich, wer weiß. Jeder, der mit unheilbar kranken Menschen arbeitet, der lässt sie zum Teil an sich heran, er errichtet aber auch einen eigenen „Schutzwall“ um sich herum. Er ist sich dessen bewusst, wie schwer das Leben für die Betroffenen ist, man hat Mitgefühl – aber man zieht auch eine Grenze. So geht es mir auch. Ich bin insofern sicherlich in einer privilegierten Situation im Vergleich zu unseren Kolleginnen und Kollegen, die zum Beispiel die direkten Hilfsanträge bearbeiten, weil diese ja noch in viel unmittelbarerem Kontakt zu den Betroffenen stehen.
Ich bekomme es vermittelt mit, das heißt: Wenn ich ein Fundraising-Projekt habe, wofür ich Geld sammeln muss, dann sage ich zu den Kollegen: ich möchte gern mit Menschen sprechen, die dieses spezielle Problem haben, die z.B. gerade einen Platz im betreuten Wohnen gefunden haben; ich möchte von diesen Menschen hören, wie es ihnen jetzt geht, und was das Projekt für sie bedeutet. Damit ich den Spendern vermitteln kann, was das Projekt bedeutet, dass man das praktisch gar nicht mit Geld aufwiegen kann, dass jemand plötzlich ein Dach über dem Kopf hat, wo er nicht diskriminiert wird, wo er weiß, ich habe hier meine Sicherheit und auch meine Autonomie, die mir erstmal keiner nehmen kann. Das sind so die Momente, in denen es sehr nahe an einen herankommt. Sehr oft bin ich aber einfach nur der Vermittler, der Brückenbauer, der versucht, ihnen ein bisschen zu vermitteln, was das Besondere an HIV und AIDS ist, und warum es auch heutzutage noch eine Krankheit ist, an der Menschen zerbrechen.
Fortsetzung
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