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Gesellschaft & Medien 13/17
Dezember 2004
"Du sollst nicht fühlen..."

Es ist nur die logische Konsequenz von dem, was die Pädagogen als „Schwarze Pädagogik“ bezeichnen: Erziehungsmethoden, die nicht nur unser Land in den letzten zwei Jahrhunderten entscheidend prägten und mitbestimmten, zuletzt ganz extrem in den auf die Kriegswirren folgenden 50er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Bevor wir uns im Einzelnen den Methoden dieser Erziehungsmechanismen zuwenden, hier zunächst ein paar Gedanken zu dem „Warum“. Wem nützte die Schwarze Pädagogik und warum wurde sie so erfolgreich? Bleiben wir beim Beispiel des Dritten Reichs. Hier waren Menschen gefragt, die blind gehorchten. Die bereit waren, für ihre vom System aufgedrückten Ideale zu töten – und in den Tod zu gehen. Wer den Film „Der Untergang“ von Oliver Hirschbiegel bereits gesehen hat, wird befremdet gewesen sein von der großen Anzahl von Offizieren und Soldaten dort, die lieber Selbstmord begingen, als zu akzeptieren, dass der Nationalsozialismus keine Zukunft mehr hatte. Die sich so sehr mit diesem „Ideal“ identifiziert hatten, dass ihnen ihr Leben ohne den Führer und seine geistesgestörten Ideen nicht mehr lebenswert erschien. Genau diese Menschen aber brauchte das Dritte Reich, um seine Existenz zu sichern: Menschen, die blind Anordnungen folgten. Menschen, die gehorchten. Menschen, die ohne Rücksicht auf Verluste alles verrieten, was gegen das System war – auch wenn es sich bei den Betreffenden um Vater oder Mutter handelte.

Die Anfänge des Erziehungshorrors finden sich aber schon viel früher in den Geschichtsbüchern: Schon mit der Industrialisierung Europas war klar, dass die herrschenden Gesellschaftsschichten keinen Blumentopf gewinnen konnten mit aufgeklärtem, selbstbestimmten und gefühlsbetontem „Menschenmaterial“. Gebraucht wurde vielmehr ein Menschentypus, der Anordnungen willig befolgte, der bereit war, sich 60 Stunden in der Woche in den Fabrikhallen des Landes die Seele aus dem Leib zu arbeiten, ohne aufzumucken – und natürlich willfährige Soldaten, die für König und Vaterland beschwingt in Kriege zogen, die für jeden heutigen, einigermaßen klar Denkenden nicht zu gewinnen waren.

Auch heute noch leben wir in einer Zeit, in der die Rangordnung über alles dominiert. Einige wenige Starke haben das Sagen und die Schwächeren akzeptieren – und leisten Folge. Es gilt, die von der Gesellschaft vorgegebenen Ziele zu erreichen – oder im System unterzugehen. Genau dies ist auch das Schema, im dem Erziehung eine große Rolle spielt: Die Familie, denn hier finden wir eine ähnliche Konstellation – und treffen auf die Spuren der Schwarzen Pädagogik, die bis heute in unserer Gesellschaft immanent ist.

Literatur:
Rudi Palla: „Die Kunst, Kinder zu kneten“, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1997
Alice Miller: „Du sollst nicht merken“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1993
Kommt ein Kind zur Welt, so muss es wachsen und sich entfalten können. Dazu benötigt es die Achtung und vor allem den Schutz der Erwachsenen, die es ernst nehmen und ihm helfen, sich in dieser Welt zurecht zu finden. Werden diese Grundbedürfnisse des Kindes nicht erfüllt, so wird die Integrität des Kindes und seine inneren Grenzen schwer verletzt. Und auch wenn das Kind vergessen mag, was ihm durch diese Verletzungen seiner ureigensten Grenzen angetan wurde, so werden sich seine zunächst unterdrückten Reaktionen wie Zorn oder Wut später in seinem Leben manifestieren, sei es durch zerstörerische Aktionen gegen andere, oder gegen sich selbst. Beispiele für solche Aktionen sind das Abrutschen in die Kriminalität oder eine gesteigerte Gewaltbereitschaft oder auch der Missbrauch von Alkohol, anderen Drogen, masochistische Tendenzen bis hin zur Prostitution – oder in letzter Konsequenz der Selbstmord. Die Schwarze Pädagogik, die doch eigentlich der Sicherung des bestehenden Systems dienen soll, trägt also durch ihre Manifestation zur Schwächung desselben bei, was für ein Dilemma!

Was aber genau macht die „Schwarze Pädagogik“ aus? Die folgenden Punkte sind dem Buch „Du sollst nicht merken“ von Alice Miller entnommen:

- die Erwachsenen sind Herrscher, nicht Diener des abhängigen Kindes
- Erwachsene dürfen wie Götter über Recht und Unrecht bestimmen
- Der Zorn der Erwachsenen stammt aus ihren eigenen Konflikten – jedoch machen sie ihre Kinder dafür verantwortlich
- dem Kind ist so früh wie möglich der eigene „Wille“ zu nehmen, denn die lebendigen Gefühle des Kindes bedeuten für den „Herrscher“ (also den Erwachsenen) eine Gefahr
- diese Erziehung muss so früh wie möglich geschehen, damit das Kind nichts merkt und den Erwachsenen nicht verraten kann

In dieser gewaltsamen Disziplinierung des Kindes sollte vor allem dieses erreicht werden: Das Kind zu bedingungslosem Gehorsam zu erziehen, dazu den kindlichen Willen für immer zu brechen, Disziplin und Selbstkontrolle zu erzwingen, eine generelle Unterwürfigkeit gegenüber Autoritäten auszubilden, die „Macht des Fleisches“, also ein Gefühl für den eigenen Körper und dessen natürliche Bedürfnisse zu unterbinden und Scham und Ekel vor dem Körper und speziell gegenüber der Sexualität auszubilden. (Quelle: wikipedia.org)
 
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