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Gesellschaft & Medien 7/17
Dezember 2004
Leben mit Aids...

Er gibt dem Virus, über das so viele nicht richtig informiert und aufgeklärt sind, ein Gesicht. Die Erinnerungsfotos des sich immer schneller drehenden Talk-Karussells kleben in der Küche am Kühlschrank: Uwe mit Ilona Christen, Uwe mit Hella von Sinnen, mit Jürgen von der Lippe, Uwe mit Andreas Türck und Hans Meiser.

Foto: (c) Uwe Görke
Als Uwe 32 Jahre ist, macht sein Körper die Dauerbelastung nicht mehr mit. Er bricht zusammen und verliert seine Arbeit. Auch bedeutet das den Abschied von "Kölle". 32 Jahre und Rentner. Zum ersten Mal ist AIDS nicht mehr nur die Sache der anderen, sondern er selbst muss sich damit auseinandersetzen. Ihm wird bewusst, dass "Tim" nicht das nette kleine Virus ist, der ihm eigentlich nichts anhaben kann, sondern dass in seinem Körper hunderttausende kleine "Tims" seit Jahren erbittert gegen sein Immunsystem kämpfen. Plötzlich wird Uwe mit seiner eigenen Schwäche konfrontriert. Damit hat auch die Talkshow-Ära ein Ende. Den großen und starken Uwe, den er sich und anderen vorgemacht hatte, gibt es nicht mehr.

Auf dem Land wird ihm jedoch auch bewusst, dass HIV nicht nur Schwule und Großstädte wie Köln betrifft. Uwe beginnt, sich für Präventionsarbeit in Schulen und Fußballmannschaften einzusetzen und organisiert Benefizkonzerte und Straßenaktionen in Schwerte.
Alle acht Wochen muss Uwe in die Praxis, deren Schwerpunkt auf HIV liegt, um sich untersuchen zu lassen. Im Wartezimmer ist die Atmosphäre deprimierend. "Du siehst in die Gesichter. Und du weißt, die Krankheit wird dich wieder einholen. Sie wird schneller sein."

Seit zwei Jahren hatte sich ein Bekannter von Uwe nicht mehr gemeldet. Eines Tages findet er eine Trauerkarte im Briefkasten, in der die Mutter des Freundes ihn zur Beerdigung einlädt. "Wer positiv ist, verschwindet lieber, bevor der Tod ins Haus steht. AIDS (HIV)-Kranke passen nicht in diese Welt. Viele verstummen lange vor ihrem Tod." Uwe fährt noch einmal nach Köln. Durch die Trauerhalle klingt Madonnas Stimme, "I will survive". Uwe weiß, dass er leben will. Und er will nie wieder an einer Beerdigung teilnehmen.

Im September 1996 beginnt Uwe mit der Kombinationstherapie, die ein halbes Jahr vorher vom Welt-AIDS-Kongress als Revolution der AIDS-Therapie gefeiert worden war. Durch die Einnahme der Medikamente war es möglich, die Virusmenge im Körper auf eine nicht mehr nachweisbare, kleine Menge zu reduzieren. Uwe beginnt die Therapie mit 25 Tabletten täglich, die er bis heute auf 6 Tabletten reduziert hat. Uwe muss einen strengen Zeitplan bei der Einnahme der Tabletten einhalten, um keine Resistenzenbildung zu riskieren. Sein Körper reagiert auf die Pillenattacke mit Übelkeit, Durchfall, Schwindel und Panikattacken. Aber Uwe hält dem stand. Er will leben.

Fünf Jahre nach Beginn der Therapie treten durch die massive Tabletteneinnahme Nebenwirkungen wie Herzstiche, überhöhte Fett-, Leber- und Cholesterinwerte sowie viel zu niedrige Testosteronwerte auf, auch seine Darmflora ist zerstört. Hinzu kommt eine Tablettensucht, Hautausschläge, innere Unruhe und ein aufgedunsener Körper. Das Immunsystem kämpft doppelt, gegen HIV und gegen die Medikamente. Dennoch gibt Uwe nichts auf Äußerungen wie: "Du stirbst nicht an HIV, sondern die Tabletten bringen dich um.", und möchte gar nicht genau wissen, was die Medikamente mit seinem Körper alles angerichtet haben könnten. Weiß er, ob er ohne die Therapie den Kampf gegen die Krankheit nicht schon längst wie sein Ex-Freund Frank verloren hätte?

Auch jetzt treten durch die Kombinationstherapie noch Nebenwirkungen wie hohe Fett- und Cholesterinwerte, Mattigkeitsgefühl, Brechreiz und sehr dünne Arme, Beine und Gesicht auf, wogegen Uwe weitere Tabletten nimmt. Sein Gesundheitszustand zur Zeit ist stabil.

Seit drei Jahren ist Uwe nun mit seinem Lebensgefährten Benjamin zusammen, mit dem er jede freie Minute verbringt. Benjamin ist 21 Jahre alt und HIV-negativ. "Benjamin sieht mich als Mensch, trotz Altersunterschied und Virus. Er sieht den Menschen in mir."
 
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